Die Hexe von Freiburg (German Edition)
sollte. Andererseits: Könnte Michael ihr so offen ins Gesicht lügen?
16
Marthes Ahnungen bestätigten sich: Die Zeiten wurden noch schlechter. Bis Juli war kaum ein Tropfen Regen gefallen, die spärliche Ernte drohte zu verdorren. Da stürmten, von einem Tag auf den anderen, ausgehungerte Stadtbewohner wie Heuschrecken auf die Felder und plünderten sie. Die Dorfgemeinden stellten in aller Eile bewaffnete Wachen auf. Es kam zu grausamen Gemetzeln mit Toten und Verletzten. Danach brachen die Unwetter los. Tagelang zuckten Blitze am nachtschwarzen Himmel, aus dem sich die Wassermassen wie aus Kübeln auf die steinharte Erde ergossen und alles, was nicht fest verwurzelt war, wegschwemmten. In den Flussauen ertranken Kühe und Schweine, drei Bauern aus der Wiehre wurden bei ihrem Versuch, das Vieh heimzutreiben, von den Fluten mitgerissen und nie mehr gefunden. Die Menschen strömten in die Gottesdienste, um zu beten, oder wandten sich der Magie zu, um mit Hilfe von Amuletten, Tieropfern und Zaubersprüchen die tobende Natur zu besänftigen.
Als sich das Wetter endlich beruhigte, standen die Vorstädte wieder unter Wasser, und die Gassen der Innenstadt waren voller Schlamm und Dreck. Myriaden von Stechmücken tauchten auf und plagten die Einwohner. Eine Fieberwelle ging um, nicht nur Kinder und Greise starben, sondern auch viele der von den monatelangen Entbehrungen geschwächten Erwachsenen.
Den schrecklichen Tagen zum Trotz gab es im Hause Bantzer einen Grund zum Feiern: Michael war Zunftmeister der Schmiede geworden. Gleich nach der Wahlversammlung eilte er nach Hause, außer sich vor Freude, nahm zwei Treppenstufen auf einmal, stürzte in die Küche, küsste Elsbeth und Barbara, nahm seine Frau um die Hüften und wirbelte sie herum, rannte wieder hinunter und durchquerte den Hof, indem er wie ein kleiner Junge mitten in die Pfützen sprang. Er rief seine Leute zusammen und sagte ihnen, dass sie ihre Werkzeuge aufräumen sollten.
«Elsbeth bringt euch ein Fass Bier, und dann habt ihr für heute frei.»
Atemlos und glücklich stand er gleich darauf wieder in der Wohnung. Sein größter Wunsch war endlich in Erfüllung gegangen. Er war jetzt Meister der Schmiedezunft zum Ross und damit nicht nur Zunftmeister der Schlosser, sondern aller anderen Zünfte dieses Gewerbes: der Huf- und Messerschmiede, der Kannen- und Glockengießer, der Blechner und Schleifer, der Goldschmiede, der Sägen-, Sichel- und Degenschmiede. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er als Vertreter all dieser Handwerker in den Rat der Stadt gewählt werden würde.
Er nahm seinen Vater um die Schulter. «Komm, du musst dich umziehen. In einer halben Stunde beginnt die offizielle Feier in der Zunftstube. Und danach», wandte er sich an Catharina, «machen wir hier ein richtig schönes Fest. Sag den Gesellen und Hartmann Bescheid, dass sie kommen sollen, und wenn du willst, kannst du ja noch deine Tante einladen. Ja, das machen wir, ich schicke einen Boten von der Zunft nach Lehen, um ihr Bescheid zu geben. Noch besser: Er soll sie gleich mitbringen.»
Dann gab er ihr eine hübsche Summe Geldes. «Kauft was Schönes zum Essen, heute soll nicht gespart werden.» Und damit war er wieder draußen.
Seine Freude steckte an. Voller Eifer berieten sich die Frauen über die Speisenfolge. Elsbeth und Catharina gingen einkaufen, nicht ohne einen Abstecher ins Schneckenwirtshaus zu machen, um Mechtild und Berthold für den Nachmittag einzuladen.
Am frühen Nachmittag kamen die beiden Männer zurück, sichtlich angetrunken. Kurz darauf erschien zu Catharinas großer Freude tatsächlich Marthe.
«Jetzt hab ich mich mit meinem alten Hintern doch tatsächlich noch auf den Ackergaul dieses Boten gewagt», lachte sie.
Eine so große Runde hatte bei Bantzers lange nicht mehr beisammengesessen. Mit Mechtild und den Männern aus der Schlosserei waren sie zu neunt, und Elsbeth kam kaum nach mit dem Auftragen der Speisen und Getränke. Der alte Bantzer strahlte vor Stolz auf seinen erfolgreichen Sohn. Irgendwann stand er auf, klopfte an sein Glas und setzte zu salbungsvollen Worten an.
«So bin ich sicher», schloss er, «dass Michael Bantzer eines Tages als Obristzunftmeister an der Spitze aller Freiburger Zünfte stehen wird. Prosit!»
Mit einem kräftigen Rülpser setzte er sich wieder. Daraufhin erhob sich Michael, blickte selbstzufrieden in die Runde und sprach mit schwerer Zunge:
«Vielen Dank für deine guten Wünsche, Vater. Ich will keine
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