Die Hexe
Mobiltelefon stand, war nicht schwer zu erraten. Sie fand es in vier Bruchstücken auf dem Küchentisch. Abermals kullerten ihr Tränen über die Wangen, doch sie riss sich zusammen.
Es geht auch ohne Telefon!
Inga warf sich eine kurze Lederjacke über, riss die Wohnungstür auf und …
… rannte einem rothaarigen Hünen in die Arme, der ihren Bewegungsdrang mit einem festen Griff bremste.
»Hiergeblieben!«
»Lass mich los!«
»Du siehst aber gar nicht gut aus, meine Liebe.« Hinter dem Rücken des Ritters erschien Antoine de Coulier und betrachtete die blutverschmierten Handgelenke der Frau. »Hast du ein Problem?«
»Toni, Liebster …« Während Inga versuchte, sich ein Lächeln abzuringen, stellte sie entsetzt fest, dass an ihrem Kleid schon wieder ein Hai die Zähne fletschte. Der rothaarige Hüne hatte offenbar ein flinkes Händchen. »Was machst du denn hier? Du hattest gar nicht angekündigt, dass du kommst. Und wieso hast du deine Freunde mitgebracht?«
»Es gibt etwas zu bereden.«
Antoines Begleiter, es waren ihrer vier, stießen Inga unsanft in die Wohnung zurück und schlossen die Tür. Sie passten allesamt so gerade unter dem Türstock hindurch, trugen schwarze Lederjacken, schwarze Hosen und Schuhe mit riesigen Schnallen. Der eine hatte sich Inga wenig liebevoll unter den Arm geklemmt, zwei inspizierten die Wohnung und der vierte stellte einen großen Metallkoffer auf den Tisch. Nicht schon wieder!, dachte Inga entsetzt.
»Toni, findest du nicht, dass es ohne Zuschauer schöner wäre?«
»Was war ich nur für ein Idiot!« Der Magister der Drachenloge ging auf Inga zu und versetzte ihr umstandslos eine schallende Ohrfeige. »Und jetzt erzähle mal schön!«
Ingas Kopf wurde heftig zur Seite geworfen und ihre Wange brannte wie Feuer. Antoine hatte ordentlich zugelangt.
»Was soll ich denn erzählen?«
»Du Hexe! Du verdammte, durchtriebene Hexe!« De Coulier ließ sich aufs Sofa plumpsen. »Du hast mich nur benutzt!«
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst.«
»Wir werden deinem Gedächtnis schon auf die Sprünge helfen«, drohte der Magister und auf sein Handzeichen öffnete Chris den Metallkoffer. »Wir haben ein paar hübsche Überraschungen für dich dabei.«
Angst und ohnmächtige Wut trieben Inga die Tränen in die Augen. Die ganze Mühe mit den Fesseln war umsonst gewesen. Jetzt saß sie erst recht in der Tinte.
»Heraus mit der Sprache!«
Die Zeit drängte. Was tun? Was? Inga zweifelte nicht daran, dass der betrogene de Coulier ernst machen und sie notfalls auch foltern würde. Und danach würde er sie in die Burg verschleppen und dem Richterspruch des Ordens überantworten. Es blieb ihr nur eine einzige, wenn auch kleine Chance.
Inga hatte längst registriert, dass sich unter den Tschuden in ihrer Wohnung kein einziger Magier befand. De Coulier war naturgemäß nicht daran interessiert, seine amourösen Abenteuer an die große Glocke zu hängen, und hatte nur seine ergebensten Leute aus der Loge mitgebracht. Der Trottel hatte Angst vor seiner Frau. Wenn es Inga gelänge, die Tschuden in Karas Villa zu locken, würde die Zauberin kurzen Prozess mit ihnen machen.
»Man hat mir befohlen, dich zu hintergehen.«
»Wer?«
»Ich wurde dafür bezahlt, Toni.« Inga entlockte ihren dunklen Augen den treuherzigsten Blick, zu dem sie fähig war: »Ich schwör’s dir, Toni, als ich dich besser kennenlernte, wollte ich das nicht mehr, aber man hat mich gezwungen.«
»Wer?« Die Stimme des Magisters klang eisig. »Name und Adresse.«
»Die Adresse weiß ich nicht, aber ich kann dir das Haus zeigen. Ich wurde einmal dorthin gebracht.« Inga brach abermals in Tränen aus.
De Coulier legte die Stirn in Falten. Er konnte Frauen nicht weinen sehen. Womöglich sagte Inga sogar die Wahrheit. Jemand hatte das Mädel eingespannt, um an ihn heranzukommen. Seltsam, dass man sie nicht umgebracht hatte …
»Woher hast du diese Wunden?«
»Ich wollte dir alles erzählen, aber sie haben mich gefesselt«, schluchzte Inga. »Und sie haben gedroht, dass sie zurückkommen werden, um mich zu töten. Toni, Liebster, ich habe solche Angst …«
Chris prustete abschätzig und wandte sich zum Fenster. Die übrigen Ritter wagten es nicht, so unverblümt kundzutun, was sie vom Techtelmechtel des Magisters hielten.
»Wenn es tatsächlich so ist, wie du gesagt hast« – Antoine zögerte – »dann … ähm, dann lasse ich vielleicht nochmal Gnade vor Recht ergehen und bestrafe dich weniger hart
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