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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Ein Mensch war nicht größer als eine Ameise, und wenn er verschwand …
    Es klickte und die schwarze Sperre verdeckte ihr die Aussicht. Seufzend schob Yvonne sich den Riemen der Tasche auf ihre Schulter und schlenderte über das Gelände. Sie besichtigte die Klosteranlage mit den alten Gräbern, den Kapellen und der Sonnenuhr im Garten. Wegen des bedeckten Himmels zeigte sie keinerlei Zeit an.
    Yvonne blieb stehen. Keine Uhrzeit, dazu der unbewegliche, hellgraue Himmel … Ravenna war aus der Zeit gefallen, so wie sie selbst während der Hypnose in eine grauenhafte Vergangenheit getaucht war. Nur bestand der Unterschied darin, dass ihre Schwester noch immer dort gefangen war. Irgendwo auf dem Odilienberg musste es eine Art Tunnel geben, eine Schleuse zwischen dem Hier und Damals. Das – oder sie und Ravenna waren ernsthaft verrückt.
    Yvonne setzte sich auf eine Bank, schlug die Beine übereinander und holte den zerknitterten Brief aus ihrer Handtasche. Sie hatte ihn im Briefkasten gefunden, am Tag nach der Trancereise. Er trug keinen Absender und weder Briefmarke noch Stempel. Sie las die Zeilen nun schon zum wiederholten Mal, aber sie wurde nicht schlau daraus. Wer schrieb heute noch mit Tinte und auf handgeschöpftem Papier? Doktor Corvin Corbeau schien sich wohl zum alten französischen Adel zu zählen, ein Schönling aus gutem Haus.
    In dem Schreiben bat er sie noch einmal, sich seinen Studenten für ein Experiment zur Verfügung zu stellen. Er nannte ihr den Ort und die Stunde und bat sie, einige Dinge mitzubringen: bequeme Kleidung und Socken, eine Decke und eine Wetterkerze.
    Keine Ahnung, was das Ganze soll, dachte Yvonne, während sie den Brief zurück in die Handtasche stopfte. Aber eines muss man ihm lassen – er hat mich neugierig gemacht.
    Sie kehrte zum Ausgang zurück und betrat den kleinen Souvenirladen, der sich im Gebäude neben dem Gewölbegang befand. Vor dem Tresen lieferten sich die Schüler gerade lautstark eine Schlacht mit Plastikschwertern und Schilden aus Gummi, die es neben Plüschstörchen, Trachtenpuppen und dunkelblauen Kuchenformen massenweise zu kaufen gab. Hilflos lächelte die Lehrerin sie an, als sie der Verkäuferin über die Köpfe der Kinder hinweg eine Kerze reichte.
    »Geben Sie mir auch noch eine von denen da.« Yvonne deutete auf eine Figur der Namenspatronin des Bergs, die in allen Größen angeboten wurde: eine Nonne, die dem Betrachter die Hand entgegenstreckte. Ein Auge blickte zwischen ihren Fingern hervor.
    »Sie sieht, was für einen Unfug ihr treibt!«, warnte Yvonne die Kinder, während sie die Kerze in die Tasche gleiten ließ. »Sie sieht alles! Sie hat das zweite Gesicht!«
    Verschüchtert steckten die Jungen die Schwerter zurück in den Eimer neben dem Regal. Die Lehrerin starrte Yvonne empört nach.
    Im Auto zog sie die Schutzfolie vom Sockel der Statue und klebte die Figur auf das Armaturenbrett. »Dann mal los«, seufzte sie, während sie den Motor anließ. Was konnte schon schiefgehen, wenn eine blinde Seherin sie führte?
    Kurze Zeit später bog sie vor der Rheinbrücke in eine Straße, die Richtung Hafen führte. Corbeau hatte ihr geschrieben, sie solle sich nicht um die Verbotsschilder kümmern, sondern immer geradeaus fahren, vorbei an Frachtschiffen, Kränen, Jachten, Kuttern und Hausbooten.
    Was soll ich bloß hier?, dachte sie, während sich die Becken und Kanäle immer weiter verästelten. Eine Hypnose im Hafen – das kann er doch unmöglich ernst meinen! Dann tauchte plötzlich ein weißes Ausflugsschiff auf, das an der Anlegestelle festgemacht hatte. Einige Meter weiter parkte Corbeaus Sportwagen, den sie in der Auffahrt der Villa gesehen hatte. Yvonne stellte den Motor ab. Beim Aussteigen versuchte sie den Namen des Schiffs zu entziffern, aber da eilte Corvin Corbeau schon über den Steg auf sie zu.
    »Yvonne! Wie schön, dass Sie kommen konnten. Ich habe meinen Studenten alles über Sie erzählt. Sie brennen darauf, Sie kennenzulernen.«
    »So? Dabei hatte ich Ihnen doch gar nicht zugesagt«, bemerkte Yvonne spitz, aber sie ließ es zu, dass der Doktor ihr die Hand reichte und sie an Deck führte. Dunkelblauer Pullover, helle Hose, Segelschuhe – Corbeau wusste sich wirklich in Szene zu setzen.
    »Keine Angst, das Schiff ist nur gemietet«, lachte er, als er Yvonnes abschätzigen Blick bemerkte. »So üppig verdiene ich mit meiner Praxis und der Stelle an der Uni nun wirklich nicht. Ab und zu unternehme ich einen Ausflug mit meinem Team,

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