Die Hexengabe: Roman (German Edition)
zur Seite und umschlang seine Mutter mit seinen dicken Armen.
»Das Richtige, mein Schatz, wir tun das Richtige«, murmelte Dorothea. »Deine Tante wird dich nach Hause zu deinem Großvater bringen.«
Kaspar warf sich auf den Boden. »Ich will nicht fort von hier.«
Rosa fragte sich, ob das die Nachwirkungen all der Drogen waren, die man ihm gegeben hatte, oder ob er immer so störrisch war.
»Wir brauchen ein Versteck und dann schnelle Pferde«, überlegte Rosa.
»Ich kenne eine Höhle, die ich beim Kräutersammeln entdeckt habe. Aber nein, das geht nicht, die kennt auch Beshir, der …« Arevhat unterbrach sich kopfschüttelnd. »Unsinn, Beshir ist tot. Also los, es ist noch ein kleines Stück bis zu einem Flüsschen, das in den See des Palastes mündet. Wenn wir dessen Lauf landeinwärts folgen, kommen wir zu einem Wasserfall, hinter dem die Höhle verborgen ist. Dort können wir fürs Erste bleiben. Dann sehen wir weiter. Aber wir müssen uns beeilen.«
48. Kapitel
E swar nicht leicht, Arevhat zu folgen, weil das Flüsschen von dichtem Gestrüpp umwuchert war, das in der Dunkelheit undurchdringlich zu sein schien. Ständig stolperte jemand oder blieb hängen.
Nandi ging voran und schlug mit einem Stock auf das Unterholz ein, um Schlangen aufzuscheuchen, dennoch hatte Rosa große Angst, jemand könnte gebissen werden.
Es dämmerte schon, als sie endlich beim Wasserfall angekommen waren. Die Höhle befand sich, wie Arevhat es gesagt hatte, hoch oben, direkt hinter dem Wasserfall. Man musste schon sehr genau hinschauen, um von unten den Eingang zu erkennen.
Die Vögel begannen lauter und lauter zu zirpen, zu zwitschern und zu pfeifen, und das Summen der Insekten schwoll zu einem beständigen Brausen an, das auch das Rauschen des Wasserfalls nicht völlig übertönen konnte.
Kaspar hatte die ganze Nacht unentwegt gequengelt, nach etwas Süßem, nach etwas Essbarem, nach einem Pferd, nach Amatulkarim, deren Name Rosa schon allein deshalb hasste, weil ihr klar wurde, wie sehr es ihre Schwester kränkte, dass Kaspar die erste Frau des Moguls zu vermissen schien.
Doch zum Glück war Dorothea die meiste Zeit ohne Bewusstsein.
»Hier hoch!« Arevhat zeigte auf Felsen, die es zu erklimmen galt, und gerade als sich Rosa fragte, wie Dorothea dort hinaufkommen sollte, legte Arevhat sich ihre Schwester über die Schultern und kletterte voran.
»Es ist glitschig, ihr müsst aufpassen!«, rief sie zu ihnen hinunter.
»Nandi, hilfst du Usha? Ich werde mich um Kaspar kümmern«, schlug Rosa vor und hoffte, dass sie es alle schnell schaffen würden. Sie bildete sich ein, in der Ferne schon das Getrappel näher kommender Pferde zu hören. »Beeilt euch!«
Nandi, der Usha gerade die Hand reichte, rutschte ab und stürzte ins Wasser.
Rosa rannte ans Ufer. »Nandi, Nandi, ist alles in Ordnung?«, rief sie, als sein Kopf endlich wieder auftauchte.
»Gut, bade ich gern am Morgen!« Er lachte und schwamm zurück zu dem Felsen, von dem er gestürzt war.
Arevhat war wieder nach unten geklettert und hatte Usha zur Höhle hinaufgeholfen, nun kam sie noch einmal und stützte den tropfnassen Nandi. Rosa sah mit Entsetzen, dass er am Rücken blutete. Hoffentlich war es kein tiefer Schnitt.
»Los, los, Kaspar, jetzt hoch mit dir!«
Kaspar begann zu klettern, stellte sich aber dermaßen tollpatschig dabei an, dass Rosa ihn schließlich anschrie: »Willst du, dass wir alle von den Elefanten totgetrampelt werden, willst du das? Nein? Dann mach, und beeile dich!«
»Aber ich weiß nicht, wo ich hintreten soll«, jammerte Kaspar, »und mir ist so schwindelig.«
Was für ein Dummkopf der Sohn ihrer Schwester war! Und dafür hatte sie all diese Strapazen auf sich genommen? Würde Kaspar nur eine entsetzliche Plage sein? Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie er sich in Nürnberg zurechtfinden würde.
Sie seufzte, schalt sich für diese bösartigen Gedanken und versuchte, ihm so gut es ging zu helfen. Weiter oben waren die Felsen nicht mehr so glitschig, sondern beinahe weich von dem grünen Moos, das auf ihnen wuchs.
Endlich hatten sie es geschafft.
In der Höhle war es dunkel und ein bisschen klamm, aber es gab genug Platz, sodass sich alle auf dem steinigen Boden hinlegen und ausruhen konnten. Usha kümmerte sich um Nandis Schrammen am Rücken, indem sie, lauter werdend, vor sich hin sang.
Arevhat hatte Dorotheas Kopf in ihren Schoß gelegt und strich ihr behutsam über die Stirn. Die innige Nähe der beiden
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