Die Hexengabe: Roman (German Edition)
bekam von Toni einen Brei vorgesetzt, während sich Arevhat und Rosa wuschen und ihre festlichsten Kleider anlegten.
Toni war hingerissen von Arevhats Sari, dessen Schulterstück mit Goldperlen und Juwelen verziert war. Immer wieder musste sie den Seidenstoff und die Spitzen von Rosas Kleid anfassen, als ob sie sich vergewissern wollte, dass das alles wirklich war und kein Traum.
Endlich waren sie fertig und bereit zum Aufbruch.
»Zuerst zum Schuldturm«, entschied Rosa nun doch. Arevhats Erinnerung an die letzten Worte ihrer Schwester hatten ihr deutlich gemacht, dass sie zuerst mit ihrer Mutter reden und danach vor den Rat treten sollte. »Aber ihr braucht die Erlaubnis vom Rat, um jemand dort herauszuholen«, wandte Toni ein.
»Ich will ja nur mit Mutter sprechen.«
»Ich wünsche euch viel Glück.« Toni spuckte dreimal über die Schultern von Rosa und Arevhat.
55. Kapitel
N achdem Rosa und Arevhat den neugierig starrenden Wärter mit einem Silbertaler bezahlt hatten, durften sie in einem dunklen Loch warten.
Rosa fühlte sich, als hätte man ihre Beine mit Blei beschwert, ihr Magen war wie zugeschnürt und ihr Mund trocken. Wie würde ihre Mutter reagieren? Was würde sie sagen?
»Soll ich hinausgehen, möchtest du mit deiner Mutter allein sein?«
Rosa nahm die Hand ihrer Freundin. »Ich weiß es nicht.«
»Hast du Angst vor ihr?«
»Nein, aber früher hat sie es immer wieder geschafft, mich mit ihrer Kälte mitten ins Herz zu treffen.«
»Und du glaubst, nichts hat sich geändert?« Arevhat sah ihr direkt in die Augen.
Rosa zögerte. Von draußen war Kettengeklirr zu hören. Arevhat erhob sich und lächelte Rosa aufmunternd zu. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich draußen bei Kaspar auf dich warte.«
An der Tür traf sie auf den Wärter und Rosas Mutter. Sie musterten sich, aber niemand sagte ein Wort.
Der Wärter hieß die Mutter, auf einem Schemel Platz zu nehmen, kettete deren Fußfesseln an der Wand an, dann wandte er sich zur Kerkertür, drehte sich noch einmal um und knurrte: »Eine Viertelstunde, mehr ist nicht drin.« Mit einem Knall schloss er die Tür und scheuchte damit eine Ratte auf, die sich quiekend in die andere Ecke verzog.
Im Licht der einzigen, trübselig flackernden Öllampe sah Rosa ihrer Mutter unverwandt ins Gesicht.
Sie war in sich zusammengesunken, ihr Rücken krümmte sich wie unter einer unsichtbaren Last, das Haar unter der schmutzigen Haube war von einem elenden Grau, nur ihre Augen flackerten in ihrem gewohnt unerbittlichen Graugrün.
Ihre Augen trafen sich, Rosa zuckte zurück. Immer noch voller Ablehnung.
»Du bist zu spät!« Ihre Mutter klang heiser. »Viel zu spät.«
»Aber ich habe Kaspar mitgebracht.«
Ihre Mutter zuckte müde mit den Schultern und machte eine wegwerfende Geste mit der Hand. »Zu spät, nun haben wir gar nichts mehr.«
»Das werde ich nicht zulassen.«
Ihre Mutter lachte auf. »Ach nein, und was willst du tun?«
»Das wirst du schon sehen. Du musst mir nur vertrauen. Doch vorher muss ich wissen, warum es der Dobkatz auf uns abgesehen hat.«
»Das spielt keine Rolle, wir haben die Bedingungen des Rates nicht erfüllt.«
»Und doch spielt es eine große Rolle. Dobkatz steckt mit dem Mann unter einer Decke, der meinen Tod befohlen hat. Warum, Mutter?«
Ihre Mutter wurde noch blasser, doch sie schwieg, ihre Lippen fest zusammengepresst.
»Ich werde erst gehen, wenn du mir die Wahrheit gesagt hast.«
»Die Wahrheit«, sagte ihre Mutter mit heiserer Stimme, »die Wahrheit, die verdammte Wahrheit. Was ist mit meiner Dorothea, wenn du ihren Sohn Kaspar hast, wo ist dann sie?«
Ihre Mutter musste sehr erschöpft sein, sie hatte geflucht, und sie hatte sich eine Blöße gegeben, hatte Gefühle gezeigt und nach ihrer Lieblingstochter gefragt.
Rosa witterte ihre Chance. »Ich werde dir das erst verraten, wenn du mir sagst, was du weißt. Immerhin war sie es, die mir in Indien aufgetragen hat, dich danach zu fragen«, schwindelte Rosa, »was es mit dem Geheimnis meines Blutes auf sich hat.«
»Aber woher …«, stotterte ihre Mutter mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen.
»Also? Wir haben keine Zeit. Wie lange willst du noch in diesem Gefängnis verrotten?«
»Wie geht es ihr?«
Rosa brauchte nur einen Lidschlag, um eine Entscheidung zu treffen. »Gut, es geht ihr gut.«
Ihre Mutter entspannte sich etwas, dann rutschte sie auf dem Schemel hin und her, schließlich gab sie sich einen Ruck.
»Der Dobkatz und ich, wir …«,
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