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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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ganzen Tag da, also nur die Ruhe. Der Engel der Wahrheit braucht Achtung, sonst kann er nicht arbeiten. Gut, also dann, Ihr seid die Erste.«
    Mit einem bangen Gefühl im Bauch beobachtete Rosa, wie eine feiste Frau, die nach frischem Brot roch, auf den Karren kletterte. Sie baute sich mit verschränkten Armen vor Rosa auf und musterte neugierig die Schnürung von deren blausilbernem Mieder, dann schüttelte sie ihren Kopf.
    »Die da hat doch keine Ahnung!«, kreischte sie, was von der Menge mit lautem Johlen aufgenommen wurde.
    »Also, fragen wir sie. Aber Ihr haltet’s Maul«, wandte sie sich an die Menge. »Bin ich die Frau vom Schmied in der Wangergasse?«, fragte die dicke Frau. Rosas Finger wurde sofort kalt. Sie schüttelte also den Kopf, und Siranush übersetzte: »Nein, das bist du nicht!«
    »Das stimmt, aber das ist ja nicht schwer. Jetzt beantwortet mir die wichtige Frage.« Die Frau wandte sich wieder an die Menge und feixte. »Also, verratet mir, schläft mein Mann mit einer anderen?«
    Die Menge johlte und pfiff.
    Rosa warf Siranush einen hilflosen Blick zu, solche Fragen konnte sie nicht beantworten.
    »Du hast diesen Engel der Wahrheit nicht verstanden«, rettete Siranush sofort die Situation. »Wenn du das wissen willst, musst du deinen Mann herbringen und ihn selbst diese Frage beantworten lassen. Nur wenn dieser Engel seine Stimme hört, kann er ein Urteil sprechen.«
    Murren in der Menge, Buhrufe. »Betrug!«, schrie einer.
    »Das passt Euch nicht? Nun dann geht nach Hause, Leute! Schert Euch weg.«
    Ein kräftiger Mann mit gewaltigen Muskeln an den Armen drängte sich vor und zerrte eine wesentlich kleinere Frau hinter sich her auf den Karren.
    »Nein, nein. Wir wollen mit dem Engel reden. Ein schändliches Tratschmaul hat meiner Frau den Floh ins Ohr gesetzt, dass ich ins Hurenhaus gehe.« Der Mann wurde plötzlich blutrot. »Aber ich war noch nie im Hurenhaus!«
    Rosas Finger blieb normal. Sie nickte also Siranush zu, die der Frau bestätigte, dass dieser Mann ihr immer treu gewesen sei.
    Aber die Frau war nicht überzeugt. »Er hat Euch Geld dafür gegeben, damit Ihr mir diese Antwort gebt«, flüsterte sie, dann lauter, »Betrug, das hier ist alles Betrug!«
    Der Mann wurde schon wieder rot im Gesicht und wollte seine Frau vom Karren zerren.
    Siranush blieb sehr ruhig. »Niemand betrügt hier, passt auf, was Ihr sagt! Nun, dann sagt doch etwas, das nur Ihr wisst, und fragt den Engel, ob es stimmt oder nicht.«
    Unsicher trat die Frau von einem Fuß auf den anderen. »Die ist wirklich stumm, oder?«, fragte sie Siranush.
    »Der Engel der Wahrheit ist stumm wie die Fische, die Bäume und die Schnecken. Gott ist mein Zeuge!«
    Ein Grinsen glitt über das Gesicht der eifersüchtigen Frau, sie trat nah an Rosa hin und flüsterte so leise in ihr Ohr, dass es niemand außer Rosa hören konnte: »Am Abend meiner Hochzeit war ich noch Jungfrau.«
    Rosas Finger reagierte sofort, also schüttelte sie den Kopf.
    »Nein«, übersetzte Siranush, »was immer Ihr gesagt habt, es war eine Lüge.«
    Die Augen der Frau wurden groß, sie biss sich auf die Lippen. »Aber das ist …«, flüsterte sie vor sich hin, »das ist nicht möglich … niemand …«
    »Wollt Ihr damit sagen, Ihr glaubt jetzt, dass der Engel die Wahrheit spricht?«, hakte Siranush nach und wandte sich mit salbungsvoll ausgebreiteten Armen wie eine Priesterin an die Menge, die atemlos lauschte.
    Die Frau nickte stumm.
    »Ihr nehmt also die Beleidigung dieses Engels wieder zurück, ja?« Siranush deutete bei dem Wort Engel auf Rosas Gesicht und zeigte dabei einen derart beleidigten Gesichtsausdruck, dass Rosa Mühe hatte, ernst zu bleiben.
    »Ja, kein Zweifel.« Die Frau zog ihre Schultern vor und zurück, gab sich dann aber endlich einen Ruck. »Dieser Engel ist echt.« Und weil alle sehen konnten, wie widerwillig ihr das über die Lippen gekommen war, wirkte es umso überzeugender. Rosa atmete erleichtert auf.
    Der Mann küsste seine Frau mit einem lauten Schmatz, was das Publikum zu Anfeuerungsrufen verleitete: »Gib’s ihr, mal ordentlich ran, mach’s ihr gleich hier! Soll ich dir helfen?« Da wurde der Mann wieder rot, lachte wie befreit, packte seine Frau und trug sie auf seinen mächtigen Armen durch die Menge.
    Siranush klatschte in die Hände und lud die Nächsten ein, hochzukommen.
    Nachdem die Masse den Engel der Wahrheit jetzt angenommen hatte, musste Rosa den ganzen Tag ohne Pause »Wahr« oder »Falsch« sagen. Am meisten

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