Die Hexengraefin
mutterlose Säugling lebte noch bei seinen Großeltern in Stuttgart, aber irgendwann würde Hasso seinen Sohn nach Hause holen. Welche Frau war dann auf Ruhfeld, die sich um den Kleinen kümmern konnte?
Der junge Witwer würde nicht rechtzeitig eine zweite Gemahlin finden, und einer Salome Bürgi würde man wohl kaum die Aufzucht und Erziehung des Erben von Ruhfeld überlassen.
Ganz abgesehen davon, dass diese Frau ihr Bestes versuchen würde, wären der Herzog und die Herzogin von Württemberg sicher nicht damit einverstanden, den Sohn ihrer Tochter einer ehemaligen »Hübschlerin« anzuvertrauen …
Adelaide überlegte hin und her, aber das Ergebnis ihrer Überlegungen war stets das Gleiche: Sie musste irgendwie nach Hause gelangen.
KAPITEL 91
DIE UNRUHEN IM BURGUNDISCHEN waren beendet, kaum dass sie ausgebrochen waren. Die Aufständischen hatten sich blutige Nasen geholt; viele waren draufgegangen bei den Kämpfen mit ungleichen Mitteln – ganz so, wie Helene es vorhergesagt hatte.
»Für die kommende Zeit wird Ruhe einkehren – bis zum nächsten Mal«, prophezeite der Comte de Grandbois, welcher gut gelaunt nach zwei Wochen wieder in den Hof von Schloss »Beauregard« geritten kam.
Adelaide begrüßte ihn mit überschwänglicher Freude; gottlob war ihrem Liebsten nichts geschehen.
Dass die Angelegenheit nicht ganz so einfach gewesen war, erfuhr sie beim anschließenden Freudenmahl in der Großen Halle des gräflichen Palais. Graf Bernard bemühte sich zwar, das Scharmützel als Bagatelle hinzustellen, musste aber nach einer Weile doch mit der Wahrheit herausrücken; und die besagte, dass immerhin etliche Adelige den Tod bei den blutigen Auseinandersetzungen gefunden hatten.
»Das ist ja entsetzlich«, entfuhr es Adelaide. Aber ehe sie sich weiter aufregen konnte, ließ der Comte sie etwas wissen, was ihr nicht gerade das Herz bluten ließ.
»Den Chevalier de Grenelles, Herrn von Chastenay, haben, wie es den Anschein hatte, seine eigenen Leute umgebracht. Er pflegte sie nämlich mit ausgesuchter Brutalität zu behandeln; und dass er bei der Schändung seines weiblichen Personals nicht einmal vor Kindern zurückschreckte, das haben sich die Leute lange Zeit gefallen lassen«, berichtete Bernard de Grandbois.
»Aber irgendwann ist jede Geduld erschöpft. Man hat den Chevalier, zusammen mit seinem Diener, Pierre Augustin, erschlagen in den Grotten von d’Arcy gefunden, unweit des Flüsschens Cure, ganz in der Nähe seines Herrensitzes.«
Adelaide war sprachlos. Erst nach einer kleinen Weile fand sie Worte – aber keine des Bedauerns. »›Der liebe GOTT schaut oft lange zu, ehe er straft‹, pflegte daheim auf Ruhfeld unser guter Vater Ambrosius zu behaupten. ›Wenn wir Menschen, die wir stets so ungeduldig sind, schon längst nicht mehr mit Gerechtigkeit rechnen und glauben, der HERRGOTT hätte uns vergessen, dann auf einmal zeigt uns der HERR, dass er niemals etwas vergisst – weder Gutes, noch Böses‹, das hat der Pater oft gesagt.«
»Das ist wohl so«, erwiderte der Graf, »unser Schlosskaplan führt immer die Worte: ›Die Rache ist mein, spricht der HERR‹, im Munde. Damit meint er wohl im Grunde das Gleiche.«
Dann sprach man über andere Dinge.
An diesem Abend sah der Comte, wenn auch äußerst ungern, ein, dass er sich mit dem Gedanken vertraut machen musste, seine Geliebte in Kürze zu verlieren. Das hieß, sofern er nicht etwas dagegen unternahm …
Seit Gustav Adolfs Tod in der Schlacht bei Lützen hatten die Kriegsgräuel um ein Vielfaches zugenommen. Keiner war mehr da, der mäßigend auf die Männer einwirkte. Schluss war mit gemeinsamen Gebeten jeden Morgen und Abend, und die jetzt zumeist bloß noch sporadisch abgehaltenen Feldgottesdienste besuchten nur noch wenige.
Die Männer im schwedischen Heer kämpften wie die Besessenen, und gegen die Zivilbevölkerung gingen sie vor, als wären es lästige Fliegen, die man erschlug, wenn sie einen behelligten.
Die Angst vor dem »Schwedentrunk« ging allgemein um, obwohl keiner mehr zu sagen vermochte, ob diese Perversität tatsächlich eine Erfindung der Schweden gewesen war.
Dass man widerspenstigen Bauern, die sich weigerten, ihr letztes Schaf zu opfern oder ihr allerletztes Huhn herzugeben, gewaltsam den Mund öffnete und mittels eines Trichters Jauche in den Schlund goss, war mittlerweile allgemein übliche Praxis.
Viele der entsetzlichen Verstümmelungen gingen nicht auf das Konto von »ehrlichen« Kampfhandlungen,
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