Die Himmelsbraut
Wangen, ihre schönen, vollen Lippen begannen zu zittern. Sie hatte ihn erkannt!
Phillip hob die Hand und winkte ihr zu, dann versteckte er sich rasch hinter seinem Schutzwall. Die Knie zitterten ihm so stark, dass er sich ums Haar nicht mehr halten konnte auf seinem Ausguck.
Er hörte, wie Antonia einen starken Hustenanfall erlitt oder auch zu erleiden vortäuschte – wahrscheinlich hatten sie nun doch die Aufmerksamkeit ihrer Aufpasserin erregt.
«Ach, du Ärmste!», hörte er die Priorin sagen. «Rasch, komm her und lass dir recht fest über den Rücken streichen – ja, so ist’s gut, mein Liebes. Siehst du, schon wird es besser.»
«Habt Dank, Mutter Camilla», hörte er Antonia keuchen. «Ja, es geht schon wieder.»
«Ich denke, meine Kinder, es wird Zeit zurückzugehen. Der frische Wind könnte uns alle erkälten. Ohnehin wird es gleich zur Vesper läuten.»
Das Rascheln der Gewänder jenseits der Mauer verriet Phillip, dass die Frauen aufbrachen, und so wagte er wieder einen Blick in den Weinberg. Antonia stieg als Letzte die schmalen Treppchen zwischen den Reben hinunter, in Richtung einer kleinen Pforte, die in die Klostermauer eingelassen war. Auf halbem Wege drehte sie sich noch einmal zu ihm um, und er erkannte trotz der Entfernung eine Mischung aus Schmerz und Glück auf ihrer Miene. Erneut hob er die Hand zum Gruß, dann verschwanden die Frauen nacheinander durch die Pforte aus seinem Blickfeld.
Das unbestimmte Gefühl, dass ihre Begegnung noch nicht zu Ende war, hielt ihn auf seinem Platz zurück. Er hörte Antonia etwas sagen, und kein Ave-Maria später kehrte sie zurück. Allein! Mit geschürztem Rocksaum hastete sie die Treppenstufen hinauf, und bis sie die kleine Plattform erreicht hatte, war er auch schon über die Mauer geklettert und in den Garten gesprungen.
«Antonia», flüsterte er und schloss sie in seine Arme. Er bebte am ganzen Leib. «Ich kann’s nicht glauben!»
Eine gefühlte Ewigkeit hielten sie sich fest, er spürte ihren Herzschlag an seiner Brust, ihre schlanke Gestalt in seinen Armen, ihren Atem an seiner Halsgrube. Die Welt schien stillzustehen.
Vorsichtig löste Antonia sich von ihm. In ihren wunderschönen grünen Augen standen Tränen.
«Bist du es wirklich?», stieß sie hervor.
Er nickte nur. Wollte sie nach seinem Brief fragen, in dem er sie angefleht hatte, seine Frau zu werden, ihm Kinder zu schenken, mit ihm bis ans Ende der Welt zu gehen. Aber er brachte kein Wort heraus.
Stattdessen nahm er ihre Wangen zwischen seine Hände und küsste schüchtern ihre Lippen. Da erwiderte sie seinen Kuss, ebenso scheu und vorsichtig, doch zugleich voller Zärtlichkeit. Phillip glaubte, vor Glück zu ertrinken.
«Ich muss zurück, Phillip.» Sie lauschte dem Klang eines Glöckchens, das von der Klausur her heraufdrang. «Die Vesper …»
«Du darfst nicht zurück.» Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. «Nie wieder. Ich liebe dich so sehr.»
«Ich dich auch, Phillip.» Ihre Hände strichen ihm zärtlich durch sein langes Haar. Plötzlich presste sie sich an ihn, mit einem unterdrückten Schluchzen, seine Beine gaben nach, und sie sanken eng umschlungen auf die Knie. Eine nie gekannte Glut war in ihm entfacht, alles in ihm brannte danach, dieses Mädchen nie wieder loszulassen, sie zu streicheln und zu liebkosen, ihr Haar an seiner Wange zu spüren, ihre Lippen auf seinen, ihre Haut an seiner …
Sie wandte den Kopf ab. Auch er hatte ein Geräusch gehört. Wahrscheinlich der Wind in den Zweigen.
Er zog sie erneut an sich. «Ich wäre viel früher gekommen, wenn mir nicht alle Welt verheimlicht hätte, wo du steckst. So viele Klöster habe ich nach dir abgesucht und hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Aber in meinem Brief an dich …»
Weiter kam er nicht. Ein schriller Aufschrei ließ ihn zusammenzucken.
«Ich hab’s geahnt! Pfui Teufel aber auch!»
Antonia beeilte sich, auf die Beine zu kommen.
«Agnes!» Ihr Gesicht war wachsbleich.
Phillip starrte das Mädchen an. Es war die ältere der Novizinnen, und ihr Mund war vor Empörung weit aufgesperrt. Dann wandte sie sich um. «Hierher, Mutter Camilla! Ich hab sie gefunden! Mit einem Mannsbild!»
In diesem Augenblick kam die Priorin auch schon die steile Treppe heraufgekeucht. Ihr rundliches Kindergesicht war zu einer hässlichen Fratze verzerrt, die dunklen Augen glotzten ihn böse an.
«Allmächtiger, stehe uns bei!», stieß sie hervor und packte Antonia beim Arm. «Das wirst du büßen.»
Wut
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