Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
würdest, um das Seil durchzuschneiden: Weißt du eigentlich, was sie mit dir machen, wenn sie entdecken, dass du mir bei der Flucht helfen willst?«
»Ja«, sagte Isana trotzig. »Dann ersäufen sie uns beide wie junge Hunde, die man nicht gebrauchen kann.«
»Ja, genau das werden sie tun«, sagte Arri beschwörend. »Also vergiss das bitte ganz schnell wieder, ja?« Als Isana daraufhin nur eine ärgerliche Handbewegung machte, fuhr Arri rasch fort: »Die Hütte ist von allen Seiten einsehbar. Ob vom Pfahldorf oder vom Ufer – ich kann gar nicht entkommen, ohne dass man mich sieht. Dann hat man mich im Nu wieder eingefangen!«
»Aber nicht in der Nacht«, beharrte Isana. »Und deswegen werde ich nach Einbruch der Dunkelheit wiederkommen.«
»Das wirst du ganz gewiss nicht tun«, widersprach Arri. »Nachts schläft mindestens einer der Männer in der Hütte. Und ein paar andere halten draußen Wache – schließlich treiben sich in den Wäldern Barbaren herum, und die Anwesenheit von Gosegs Kriegern hat den Ältestenrat zusätzlich nervös gemacht.«
»Dann muss ich eben sehr leise und sehr vorsichtig sein«, erklärte Isana leichthin. »Vielleicht kann ich das Seil ja schon tagsüber durchschneiden. Da«, sie deutete auf den Pfahl, »wenn man es dort im Schatten des Pfahls durchtrennt, bis es nur noch an einem Faden hängt, dann sieht das doch niemand.« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ich weiß jetzt auch, was ich machen werde. Ich besorge dir ein Messer, und dann kannst du das tun, was du doch eigentlich willst: deine Flucht selbst in die Hände nehmen. Du hast ja genug Zeit, um an dem Seil zu sägen …« Isana blinzelte, dann sprang sie plötzlich auf und fuchtelte mit beiden Händen herum. »Haut hab, ihr blöden Viecher«, zischte sie. »Und lasst euch hier nicht mehr blicken.«
Wie zur Antwort raschelte es irgendwo hinter dem Mittelpfosten, doch bevor Arri erkennen konnte, um was es sich handelte, war es auch schon vorbei. »Ratten?«, fragte sie.
Isana zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe. Hier in Ufernähe gibt es nicht nur Ratten und Eidechsen, sondern auch Laufspinnen. Du weißt schon, das sind diese ekligen, deren Biss tödlich sein kann.«
Nein, Arri wusste das nicht, aber trotzdem rann ihr ein kalter Schauer über den Rücken. »Giftige Spinnen?« Sie musste an das denken, was sie eben gebissen hatte – und dann weggehuscht war. »Wie giftig sind die denn?«
»Ziemlich giftig«, antwortete Isana. »Am besten, man zertritt sie, sobald man sie sieht.«
»Das ist …«
»Ekelhaft?« Isana drehte sich wieder zu ihr um und nickte eifrig. »Ja. Die kleinen Mistviecher leben in Ufernähe, da muss man besonders vorsichtig sein. Es heißt, dass sie des Nachts übers Wasser laufen können. Beim Bootsbau hat man letztens ein ganzes Nest von ihnen gefunden. Darin hat es gezappelt und gezuckt, es war ein fürchterlicher Anblick – sagen sie.«
»Komisch.« Arri verschluckte sich fast. »Ich habe noch nie etwas von solchen Spinnennestern gehört.«
»Ich schon«, behauptete Isana. »Aber mach dir keine Sorgen. Dich wird heute Nacht keine Spinne beißen und keine Ratte anknabbern. Ich hole dich schon noch rechtzeitig raus.« Sie trat einen Schritt vor, ihr rechter Fuß streifte die Schale mit der Fischsuppe – und ein paar Tropfen der kostbaren Flüssigkeit schwappten über den Rand.
»Ich weiß nicht, ob das dann nicht zu spät ist …«, begann Arri und versuchte in ihren Körper hineinzulauschen, um zu erkunden, ob da ein Brennen und Pochen in ihrem Fuß war, das sich anders anfühlte als der ständig vorhandene Schmerz an der wund gescheuerten Stelle.
»Das wird schon«, unterbrach sie Isana rasch. »Und wenn dich vorher wirklich noch eine Spinne beißen sollte: Meine Mutter hat mich in all dem unterrichtet, was eine gute Heilerin ausmacht. Dazu gehörte auch das Versorgen von Spinnenwunden.« Sie nahm den Unterarm hoch und berührte ihn mit den Lippen. »Man muss die Wunde aussaugen, sofort. Siehst du?« Sie tat so, als sauge sie an ihrem Arm. »Soll ich dir zeigen, wie man das am besten macht?«
»Nein, das sollst du nicht!«, entfuhr es Arri. »Und das ergibt doch ohnehin alles keinen Sinn. Ich werde nicht fliehen!«
Trotzig schürzte Isana die Lippen. »Du traust mir nicht, oder? Du glaubst nicht, dass ich dich hier rausbringe? Dabei ist es doch ganz einfach: Du schneidest den Strick tagsüber durch und schleichst dich nachts raus, wenn alle schlafen.«
»Und Kyrill?«
»Wie?
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