Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
Beschädigung am Beschlag des Steuerruders auszubessern, als er ein schwaches Klatschen von Wellen westlich vom Schiffe zu hören glaubte.
Das schien ihm von dem Einschlagen von Riemen ins Wasser herzurühren und deutete auf eine Annäherung der Boote des »Repton«, wonach die Engländer also die Lage des »Saint Enoch« ausgespürt haben müßten.
Der Schmied begab sich eiligst wieder aufs Deck, um Bourcart seine Beobachtung zu melden. Jetzt konnte ja die Stunde gekommen sein, wo die Gewehre von dem Rechen in der Cajüte geholt werden und die Mannschaften sich zu einer Abwehr rüsten mußten.
Die Arbeit wurde unterbrochen und den mit dem Abhäuten beschäftigten Matrosen der Befehl ertheilt, aufs Deck zurückzukehren.
Sehen konnte man inmitten der hin und her wallenden Dunstmassen freilich nichts und mußte sich also gänzlich aufs Gehör verlassen. An Bord herrschte tiefe Stille. Selbst das im Schmelzofen knisternde Feuer war gelöscht worden. Das geringste Geräusch von der See her wäre unbedingt vernehmbar gewesen. Einige Minuten vergingen. Kein Boot erschien, und vom Kapitän King wäre es überhaupt eine Tollkühnheit gewesen, den »Saint Enoch« unter den vorliegenden Umständen anzugreifen. Obgleich der Nebel, wenn er den Engländern hinderlich war, es ihnen vielleicht ermöglichte, sich unbemerkt ziemlich nahe heranzuschleichen, mußten diese sich doch sagen, daß Bourcart auf seiner Hut sein werde. Meister Ollive wiederholte freilich immer:
»O, von Seite der Engländer würde ich mich über gar nichts wundern!«
Bald ergab sich aber doch, daß es sich nur um einen falschen Alarm gehandelt hatte. Das Wellenplätschern konnte nur von einem vereinzelten Lufthauch hergerührt haben, wie sich ein solcher bei Nebel manchmal erhebt, ohne diesen doch zerstreuen zu können. Man bemerkte auch wirklich, daß sich ein Brise erheben zu wollen schien, denn es wehte schon mit Unterbrechungen und bisher noch aus wechselnder Richtung. Frischte der Wind jedoch nicht weiter auf, so blieb der Himmel jedenfalls noch bis zum nächsten Sonnenaufgang verhüllt. Auf derartige Windstillen, die zu jetziger Jahreszeit im Norden des Stillen Oceans übrigens nur selten vorkommen, folgte mit Wahrscheinlichkeit recht grobes Wetter. Es lag also die Befürchtung nahe, daß die Fahrt fernerhin nicht so günstig verlaufen werde, wie seit der Abreise aus Petropawlowsk. Da der Dreimaster aber schon so manche Stürme vortrefflich und ohne jede ernstere Havarie überstanden hatte, wäre Jean-Marie Cabidoulin besser berathen gewesen, wenn er den »Saint Enoch« aus Havre, Kapitän Evariste Simon Bourcart, mit seinen gruseligen Schwarzsehereien verschont hätte.
Das Schiff konnte ja ebensogut noch einmal dasselbe Glück haben, wie bei der ersten Campagne, und noch auf weitere Walfische treffen, so daß es seine Ladung vervollständigen konnte, ehe es in Vancouver vor Anker ging.
Die Stunden des Nachmittags verrannen. Wahrscheinlich herrschte in der kommenden Nacht dieselbe Finsterniß wie in der vorhergegangenen. Immerhin wurden alle Vorsichtsmaßregeln noch beibehalten und die Boote nach der Rückkehr des Lieutenants Allotte aufs Deck gehißt.
Für die noch zu bewältigende Arbeit war es für den »Saint Enoch« erwünschter, noch vierundzwanzig Stunden völlig ruhig zu liegen, wenn ihn dann nur ein günstiger Wind der Küste Amerikas zutrieb.
Plötzlich, es war kurz vor fünf Uhr, zerriß die Luft ein schrilles, heftiges Pfeifen. Gleichzeitig wurde das Meer bis in große Tiefen furchtbar aufgewühlt. Seine Oberfläche kochte und bedeckte sich mit weißem Schaum. Der auf den Rücken einer ungeheueren Woge hinaufgeworfene »Saint Enoch« stampfte und schlingerte auf einmal ganz entsetzlich. Die an den Geitauen hängenden Segel klatschten geräuschvoll gegen das Takelwerk an und die Mannschaft fürchtete schon, daß die Maste über Bord gehen könnten.
Zum Glück wurde der fest an die Schiffswand gekettete Wal dabei doch nicht weggerissen, obwohl das Schiff sich sehr tief zur Seite neigte.
»Was ist denn los?« rief Bourcart, der aus seiner Cabine gesprungen kam.
Sofort begab er sich nach dem erhöhten Hinterdeck, wo sich auch der Obersteuermann und die beiden Lieutenants zu ihm gesellten.
»Das muß eine Hochfluthwelle sein, meinte Heurtaux, ich hab’ es noch gesehen, wie der »Saint Enoch« davon gepackt wurde.
– Ja, ja, eine Hochfluthwelle, sagte auch Meister Ollive, denn schon jetzt ist nicht mehr genug Wind, meinen Hut zu
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