Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
kentern, was vielleicht zu befürchten gewesen wäre, wenn der Walfisch noch an seiner Seite gehangen hätte.
Außer auf andere Möglichkeiten, durch die der »Saint Enoch« hätte abgebracht werden können, rechnete der Kapitän Bourcart vor allem auf die Fluth, obwohl er wußte, daß der Gezeitenunterschied im ganzen Stillen Ocean nicht eben groß war. Wer konnte aber wissen, ob das Ansteigen des Wassers um wenige Zoll nicht schon ein Wiederflottwerden herbeiführte? Es hatte ja nicht den Anschein, daß das Fahrzeug weit hinauf auf die Klippe gefahren war, an der es eigentlich nur mit der Ferse festhing.
Gegen elf Uhr hatte die Fluth angefangen, sich fühlbarer zu machen, und um zwei Uhr nach Mitternacht mußte Hochwasser sein. Der Kapitän und seine Officiere beobachteten voller Spannung das Steigen des Wassers, das sich durch ein, in der so stillen Nacht leicht hörbares Anschlagen der Strömung bemerkbar machte.
Leider trat, als das Wasser den höchsten Stand erreicht hatte, keine Aenderung ein. Wohl erhielt der »Saint Enoch« einige leichte Erschütterungen und schleifte der Kiel ein wenig auf dem Grunde hin und her, das war aber auch alles. An diesem Datum des Octobers waren die Hochfluthen der Zeit der Tag-und Nachtgleiche schon vorbei, und die Aussicht auf ein Wiederfreikommen verminderte sich mit jedem weiteren Mondumlaufe.
Wenn nun erst die Tiefebbe eintrat, lag ja gar die Befürchtung nahe, daß sich die Verhältnisse noch verschlechtern könnten. Das Schiff neigte sich voraussichtlich, je mehr das Wasser zurücksank, desto mehr auf die Seite, und dann war am Ende sein Kentern doch nicht ausgeschlossen.
Die Besorgniß hierüber wich nicht vor halbfünf Uhr morgens. Uebrigens hatte der Kapitän Bourcart, um auf jede Möglichkeit vorbereitet zu sein, schon die Raaen der Bramsegel niederholen lassen, um sie als Stützen zu verwenden, sie brauchten aber nicht gegen die Schiffswand gestemmt zu werden.
Vorläufig blieb es jedoch unmöglich, etwas zu erkennen. (S. 170.)
Kurz vor sieben Uhr färbte ein röthlicher Schein die Dunstmassen im Osten. Die über den Horizont emporsteigende Sonne vermochte sie noch nicht aufzulösen, und auf das Takelwerk senkte sich ein feuchter Niederschlag.
Natürlich suchten alle, die Officiere auf dem Hinterdeck, die Matrosen auf dem Vorderkastell, etwas durch den Nebel auf der Seite zu erkennen, nach der das Schiff geneigt lag, um möglichst bald mit dem Boot um dieses herumfahren zu können. Jedem lag ja daran, sich zu überzeugen, ob das Riff etwa eine sehr große Ausdehnung habe, ob es nur eine ebene Untiefe bilde oder ob bei niedrigem Wasser vielleicht gar der obere Theil von Felsen frei herausragte.
Vorläufig blieb es jedoch unmöglich, weiter als bis auf einige Meter über die Schanzkleidung hinaus etwas zu erkennen. Jedenfalls hörte man aber auch keine Brandung, die jede Strömung an Gesteinsmassen erzeugt, welche nahe an die Oberfläche des Meeres heranreichen.
Es war also nichts zu thun, ehe der Nebel nicht verschwand, und das geschah vielleicht, wie an den vorhergehenden Tagen, wenn die Sonne sich der Mitagshöhe näherte. Erlaubten es dann die Umstände, so wollte Bourcart versuchen, die Lage des Schiffes mittels Sextanten und Chronometers zu bestimmen.
Noch immer empfahl es sich, den Frachtraum vollständiger zu untersuchen. Meister Cabidoulin und der Zimmermann Ferut, die eine Anzahl Fässer von hinten her weiter nach vorn geschafft hatten, überzeugten sich aufs neue, daß nirgends Wasser eingedrungen war. Weder die Spanten nach die Bordwand hatten bei dem Aufstoßen nachgegeben. Von einer ernsteren Havarie konnte also keine Rede sein. Beim Hervorrollen der Fässer sagte sich der Böttcher aber, daß es wohl nicht zu umgehen sein werde, sie aufs Deck zu hissen und ins Meer zu werfen, um das Gewicht des Schiffes zu vermindern.
Die Morgenstunden vergingen, der Himmel wurde aber noch nicht klar. Eine oberflächliche Untersuchung, die Bourcart und der Obersteuermann im Umkreise einer halben Kabellänge vom »Saint Enoch« vornahmen, gab keinen Aufschluß über Natur und Gestalt des Risses.
Vor allem galt es, nachzuweisen, ob es sich in der Nähe eines Landes befand, woran die Boote landen könnten, wenn es nothwendig würde, das Schiff zu verlassen. Bourcart konnte freilich nicht annehmen, daß ein Festland oder eine Inselgruppe nahe dieser Gegend läge. Der Doctor hatte eben eine diesbezügliche Frage an ihn gerichtet.
»Nein, Herr Filhiol,
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