Die historischen Romane
auftritt. Ah, diese Herzoginnen sind ihrer Ehebrüche mit Adligen alten Schlages oder mit gutmütigen Kanonikern so überdrüssig und können nie genug kriegen vom Bizarren, vom Exotischen und vom Monströsen, dass sie sich von geschminkten und wie Frauen mit Patschuli parfümierten Personen betören lassen. Aber dass die gute Gesellschaft aus der Art schlägt, ist mir ziemlich egal, die diversen Marquisen, die mit den diversen Ludwigs vögelten, waren nicht besser, doch wenn die Armee entartet, dann sind wir ans Ende der französischen Zivilisiation gelangt. Ich bin überzeugt, dass der überwiegende Teil der jüdischen Offiziere in unserer Armee zu einem Netz von preußischen Spionen gehört, doch mir fehlen die Beweise, die Beweise.«
»Finden Sie sie!« forderte er die Redakteure seiner Zeitung auf.
In der Redaktion von La Libre Parole lernte Simonini den Major Walsin-Esterházy 19 kennen: Er gab sich sehr dandyhaft, prahlte ständig mit seiner aristokratischen Herkunft und seiner Wiener Erziehung, erwähnte vergangene und zukünftige Duelle, dabei wusste man, dass er hoch verschuldet war, die Redakteure mieden ihn, wenn er sich mit vertraulicher Miene näherte, weil sie ahnten, dass er sie anpumpen wollte, und jeder wusste, wenn man ihm etwas lieh, sah man es nicht wieder. Leicht feminin, führte er immer ein besticktes Taschentuch zum Mund, und einige sagten, er sei tuberkulös. Seine Karriere beim Militär war bizarr gewesen, erst Kavallerieoffizier im Italienfeldzug 1866, dann bei den päpstlichen Zuaven, dann in der Fremdenlegion, mit der er am Krieg 1870 30 teilgenommen hatte. Man munkelte, er habe mit der militärischen Gegenspionage zu tun, aber natürlich handelte es sich nicht um Informationen, die man an die Uniform geheftet trug. Drumont behandelte ihn sehr zuvorkommend, vielleicht um sich einen Kontakt mit militärischen Kreisen zu sichern.
Eines Tages lud dieser Esterházy nun Simonini zum Diner ins Bœuf à la Mode ein. Nachdem sie ein mignon d’agneau aux laitues bestellt und die Weinkarte diskutiert hatten, kam Esterházy zur Sache: »Capitaine Simonini, unser Freund Drumont sucht nach Beweisen, die er nie finden wird. Das Problem ist nicht herauszufinden, ob es preußische Spione jüdischer Herkunft in der Armee gibt. Heilige Einfalt, in dieser Welt gibt es überall Spione, und über einen mehr oder weniger regen wir uns nicht auf. Das politische Problem ist zu beweisen , dass es welche gibt. Sie werden mir zustimmen, um einen Spion oder Verschwörer zu entlarven, braucht man keine Beweise zu finden, es ist leichter und ökonomischer, welche zu fabrizieren, und am besten auch den Spion gleich mit. Ergo müssen wir im Interesse der Nation einen jüdischen Offizier finden, der aufgrund irgendeiner Schwäche hinreichend verdächtig ist, und zeigen, dass er der preußischen Botschaft in Paris wichtige Informationen hat zukommen lassen.«
»Wen meinen Sie, wenn Sie wir sagen?«
»Ich spreche hier im Namen der Sektion für Statistik des Service des Renseignements Français, die von Colonel Sandherr geleitet wird. Vielleicht wissen Sie, dass diese so neutral benannte Sektion sich hauptsächlich mit den Deutschen befasst. Anfangs interessierte sie sich für das, was die Deutschen bei sich zu Hause tun, sammelte Informationen aller Art, aus den Zeitungen, aus den Berichten reisender Offiziere, aus den Gendarmerien, von unseren Agenten auf beiden Seiten der Grenze, um soviel wie möglich über die Organisation ihres Heeres herauszufinden, wie viele Kavalleriedivisionen sie haben, wie hoch der Sold ihrer Truppen ist, kurzum, alles. Aber in letzter Zeit hat der Dienst beschlossen, sich auch um das zu kümmern, was die Deutschen bei uns tun. Manche beklagen diese Vermischung von Spionage und Gegenspionage, aber die beiden Aktivitäten sind eng miteinander verwoben. Wir müssen wissen, was in der deutschen Botschaft geschieht, da sie fremdes Territorium ist, und das ist Spionage, aber dort werden Informationen über uns gesammelt, und die zu erfahren ist Gegenspionage. Nun arbeitet in der deutschen Botschaft eine Madame Bastian für uns, die dort als Putzfrau angestellt ist und so tut, als sei sie Analphabetin, dabei kann sie sogar deutsch lesen und verstehen. Ihre Aufgabe besteht darin, jeden Tag die Papierkörbe in den Büros zu leeren und uns dann Notizen und Dokumente zukommen zu lassen, die die Preußen meinten – Sie wissen ja, wie stumpfsinnig die sind – der Vernichtung anheimgegeben zu
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