Die historischen Romane
haben. Es geht also darum, ein Dokument zu erzeugen, in dem unser Offizier den Preußen streng geheime Nachrichten über die französische Heeresbewaffnung ankündigt. Bei dieser Sachlage wird man vermuten, dass der Betreffende jemand sein muss, der Zugang zu vertraulichen Nachrichten hat, und wird ihn entlarven. Wir brauchen also einen Vermerk, eine kleine Liste, nennen wir es ein Bordereau . Und deswegen wenden wir uns an Sie, der Sie in diesen Dingen, wie es heißt, ein Künstler sind.«
Simonini fragte sich nicht, woher man im Nachrichtendienst des französischen Generalstabs seine Fähigkeiten kannte. Wahrscheinlich von Hébuterne. Er bedankte sich für das Kompliment und sagte: »Ich nehme an, ich soll die Handschrift einer bestimmten Person reproduzieren.«
»Wir haben den idealen Kandidaten bereits gefunden. Es ist ein gewisser Hauptmann Dreyfus, Elsässer natürlich, der als Anwärter für den Dienst im Generalstab bei uns tätig ist. Er hat eine reiche Frau geheiratet und gibt sich gerne als Casanova, weshalb seine Kollegen ihn nur mit Mühe ertragen, sie würden ihn auch nicht mögen, wenn er Christ wäre. Er wird also keinerlei Solidarität finden. Er ist optimal für unsere Zwecke. Wenn das Dokument vorliegt, wird man ein paar Kontrollen vornehmen und die Handschrift von Dreyfus erkennen. Dann wird es Sache von Leuten wie Drumont sein, den Skandal öffentlich zu machen, die jüdische Gefahr an die Wand zu malen und zugleich die Ehre der Armee zu retten, die den Spion so meisterhaft entlarvt und neutralisiert hat. Klar?«
Sonnenklar. Anfang Oktober saß Simonini im Büro von Oberstleutnant Sandherr, der ein erdfahles, nichtssagendes Gesicht hatte. Die perfekte Physiognomie für einen Chef der Spionage- und Gegenspionagedienste.
»Hier haben Sie ein Muster der Handschrift von Dreyfus und die Textvorlage«, sagte Sandherr und reichte ihm zwei Blätter. »Wie Sie sehen, muss das Schreiben an den Militärattaché der Botschaft, Maximilian von Schwartzkoppen adressiert sein und militärische Dokumente über die hydraulische Bremse der 120-Millimeter-Kanone und andere Details dieser Art ankündigen. Auf so etwas sind die Deutschen scharf.«
»Wäre es nicht gut, schon ein paar technische Angaben einzuflechten?« fragte Simonini. »Es würde noch kompromittierender aussehen.«
»Ich hoffe, Sie sind sich im klaren«, antwortete Sandherr, »wenn der Skandal erst einmal ausgebrochen ist, wird dieses Bordereau Gemeingut sein. Wir können den Zeitungen keine technischen Informationen zum Fraß vorwerfen. Also an die Arbeit, Capitaine Simonini. Um es ihnen bequem zu machen, habe ich Ihnen ein Zimmer mit den nötigen Utensilien herrichten lassen. Papier, Feder und Tinte sind genau diejenigen, die in diesen Büros benutzt werden. Ich wünsche mir etwas gut Gemachtes. Lassen Sie sich Zeit und üben Sie erst eine Weile, damit die Handschrift perfekt wird.«
So machte es Simonini. Das Bordereau war ein Dokument auf dünnem Papier mit dreißig Schriftzeilen, achtzehn auf der Vorderseite und zwölf auf der Rückseite. Simonini hatte dafür gesorgt, dass die Zeilen der ersten Seite mehr Durchschuss hatten als die auf der zweiten, die auch etwas hastiger geschrieben waren, denn so unterläuft es einem, wenn man einen Brief in erregtem Zustand schreibt und bewusst locker anfängt, um dann das Schreibtempo zu beschleunigen. Aber er hatte auch bedacht, dass ein solches Dokument, wenn man es in den Papierkorb wirft, vorher zerrissen wird, also beim Nachrichtendienst in mehreren Teilen ankommt, die zusammengesetzt werden müssen, weshalb es besser war, auch die Buchstaben weit auseinanderzuziehen, damit das Zusammenkleben erleichtert wurde, aber nicht so weit, dass er von der Schriftprobe abwich, die ihm gegeben worden war.
Mit einem Wort, er hatte gute Arbeit geleistet.
Alles lief wie am Schnürchen, Sandherr schickte das Bordereau an den Kriegsminister General Mercier und ordnete gleichzeitig eine Überprüfung der Handschriften aller Offiziere an, die mit der Sektion zu tun hatten. An deren Ende informierten ihn seine zuverlässigsten Mitarbeiter, dass es sich um die Handschrift von Hauptmann Dreyfus handelte, der daraufhin am 15. Oktober 1894 verhaftet wurde. Zwei Wochen lang wurde die Nachricht zurückgehalten, aber tröpfchenweise durch kleine Indiskretionen angedeutet, um die Neugier der Journalisten hervorzukitzeln, dann fing man an, einen Namen zu munkeln, zuerst noch unter dem Siegel der
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