Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
leicht in die Psychose des synarchistischen Komplotts.
    Als ich Lia von dem Gespräch erzählte, sagte sie: »Also mir scheint, er war ehrlich zu dir. Er wollte sich mal aussprechen. Meinst du, im Polizeipräsidium findet er jemanden, der ihm zuhört, wenn er ihn fragt, ob Jeanne Canudo rechts oder links war? Er wollte bloß rausfinden, ob er's ist, der nichts kapiert, oder ob die Geschichte wirklich zu schwierig ist. Und du bist nicht imstande gewesen, ihm die einzige richtige Antwort zu geben.«
    »Und die wäre?«
    »Dass es da nichts zu kapieren gibt. Die Synarchie ist Gott.«
    »Gott?«
    »Ja. Die Menschheit kann den Gedanken nicht ertragen, dass die Welt per Zufall entstanden ist, durch einen Irrtum, bloß weil vier unvernünftige Atome auf der nassen Autobahn ineinandergerast sind. Also muss sie eine kosmische Verschwörung suchen. Gott, die Engel oder die Teufel. Die Synarchie erfüllt dieselbe Funktion, nur in kleinerem Maßstab.«
    »Also hätte ich ihm erklären sollen, dass die Leute Bomben in Züge legen, weil sie Gott suchen?«
    »Vielleicht.«

 
    54
     
    The prince of darkness is a gentleman.
     
    Shakespeare, King Lear , 3,4,140
     
    Es wurde Herbst. Eines Morgens ging ich in die Via Marchese Gualdi hinüber, um mir von Signor Garamond die Erlaubnis zu holen, einige Farbdias aus dem Ausland zu bestellen. Im Büro der Signora Grazia sah ich Agliè, über das Autorenverzeichnis von Manuzio gebeugt. Ich störte ihn nicht, da ich mich verspätet hatte und Signor Garamond mich erwartete.
    Am Ende unserer Besprechung fragte ich ihn, was Agliè im Sekretariat machte.
    »Oh, der ist ein Genie«, sagte Garamond. »Ein Mann von ganz außergewöhnlichem Feingefühl und enormer Bildung. Vorgestern Abend habe ich ihn mit einigen unserer Autoren zum Essen ausgeführt, und er hat mir große Ehre gemacht. Welch eine Konversation, welch ein Stil! Ein echter Gentleman alten Schlages, ein richtiger Herr, von einer Noblesse, wie man sie heute kaum noch findet. Welche Gelehrtheit, welche Kultiviertheit, ich sage noch mehr, welche Informiertheit! Er hat köstliche Anekdoten erzählt über Leute von vor hundert Jahren, ich schwöre es Ihnen, als hätte er sie persönlich gekannt! Und wissen Sie, was für eine glänzende Idee er mir auf dem Heimweg gesteckt hat? Er hatte meine Gäste auf den ersten Blick durchschaut und kannte sie inzwischen besser als ich. Er meinte, wir sollten nicht warten, dass die Autoren der Entschleierten Isis von alleine kämen. Das sei Zeitvergeudung, erst das Palaver, dann die Lektüre der Manuskripte, und dann weiß man nicht, ob sie bereit sind, zu den Unkosten beizutragen. Stattdessen hätten wir eine Goldmine zum Ausbeuten: die Kartei aller Manuzio-Autoren der letzten zwanzig Jahre! Verstehen Sie? Man schreibt einfach an diese unsere ruhmreichen alten Autoren, oder jedenfalls an diejenigen, die auch die Restbestände aufgekauft haben: Lieber Herr, wissen Sie, dass wir eine neue Buchreihe begonnen haben, die sich der traditionellen Weisheit von höchster Spiritualität widmen soll? Müsste es einen Autor von Ihrer Subtilität nicht reizen, in diese Terra incognita einzudringen undsoweiterundsofort… Ein Genie, sage ich Ihnen! Ich glaube, er möchte uns alle am Sonntagabend bei sich haben. Er will uns in ein Schloss führen, in eine Burg, ich sage noch mehr, eine prächtige Villa in den Turiner Hügeln. Scheint, dass da außergewöhnliche Dinge stattfinden werden, ein Ritus, eine Zeremonie, ein Hexensabbat, wo jemand Gold oder Quecksilber oder so etwas fabrizieren wird. Das ist eine ganz neu zu entdeckende Welt, Casaubon, auch wenn ich, Sie wissen es, die größte Achtung vor jener Wissenschaft hege, der Sie sich mit solcher Passion verschrieben haben, ja, ja, ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit – ich weiß, die kleine finanzielle Zulage, auf die Sie mich angesprochen hatten, ich hab's nicht vergessen, wir werden zu gegebener Zeit noch darüber sprechen. Agliè hat mir gesagt, dass auch diese junge Dame dort sein wird, diese schöne Dame – nun, vielleicht ist sie nicht gerade bildschön, aber rassig, sie hat etwas im Blick – ich meine, diese Freundin von Belbo, wie heißt sie doch gleich…«
    »Lorenza Pellegrini.«
    »Richtig. Ist da was zwischen ihr und unserem Belbo, eh?«
    »Ich glaube, sie sind gute Freunde.«
    »Ah! So antwortet ein Gentleman. Bravo, Casaubon. Aber es war nicht aus Neugier, es ist vielmehr, weil ich mich für Sie alle hier wie ein Vater fühle und… nun ja,

Weitere Kostenlose Bücher