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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: zu KLAMPEN
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denn er war ein Mann aus zwei Welten.
     Er sah sowohl gut als auch verschlagen aus.
    |99| »Nehmen Sie Platz«, rief er ihr über viele Meter hinweg zu. »Am besten bei mir. Der ideale Tisch für Menschen, die kein Risiko
     eingehen wollen.«
    Nun mochte sie ihn noch weniger.
    »Wenn Sie Hunger haben, sagen Sie es. Ich besorge Ihnen, was Sie wollen.«
    »Dann nehme ich als Vorspeise einen Teller sachliche Auskünfte. Als Zwischengericht Hintergrund, scharf angebraten. Und als
     Nachtisch Sachdienlichen Klatsch. Das Hauptgericht lasse ich meistens aus.«
    Er starrte sie an, kaute weiter und sagte: »Sie sind Kommissarin Wiese.«
    »Deretwegen Sie hier sind.«
    »Ich bin wegen Bordon hier.«
    »Dann sind Sie aber in viele Staus geraten.«
    Ohne Befangenheit gestand er, einige Geschäftsfreunde besucht zu haben, die auf der Strecke lagen.
    »Musste ich ausnutzen. Wann kommt man schon mal nach Salzwedel? Oder Uelzen?«
    Karolina erhielt das Gleiche, was er bekommen hatte. Sie hatte nicht mitgekriegt, dass er eine Bestellung aufgegeben hatte.
    Endlich stellte er sich vor. Macciato, Manfred Macciato.
    »Erzählen Sie mir nicht, dass Sie Polizistin sind. Ich weiß, wie Polizistinnen aussehen. Du hast immer das Gefühl, dass sie
     dir gleich den Arm umdrehen oder es sich vorstellen. Sie sind Schauspielerin, die eine Polizistin spielt. Habe ich Recht?
     Ich habe Recht.«
    Erstaunlich, wie fließend die Übergänge waren. Charmant und schmierig. Es hatte nichts damit zu tun, dass sie wusste, |100| wer er war und wovon er lebte. Sie konnte es sich nicht leisten, Zuhälter zu hassen. Die Übergänge waren fließend geworden.
     Zuhälter sahen aus wie Manager und wenn sie über ihr Gewerbe sprachen, ging es sachlich und ohne Tiefschläge zu. Effizient,
     dynamisch, europäisch. Eine Runde im Präsidium konnte frauenfeindlicher verlaufen. Aus Görlitz stammte er, sein mittelalterlicher
     Themenpark interessierte ihn mehr als Auskünfte über seine Klubs und Huren. Er sprach über die Öffnung der Grenzen, als würde
     er mit Schrauben oder Tiefkühlkost handeln. Auf sein Konto ging die Erfindung der perfekt zweisprachigen Huren. »Ist nirgendwo
     so wichtig wie an der Grenze zu slawischen Sprachen. Wenn eine Polin schlecht Deutsch spricht, vergeht dir als Kunde doch
     alles.«
    Die Kommissarin wusste nicht, ob er sie testen wollte. Zu diesem Zeitpunkt aß sie bereits und war froh, dass Marvin nicht
     für ihren Tisch zuständig war. Sie zog die Angel ein und konfrontierte Macciato mit allem, was sie von ihm bereits wusste.
     Er blieb so gelassen, dass es wie Desinteresse wirkte. Er stammte aus Niedersachsen, Seelze, Mittellandkanal und Steinhuder
     Meer, mit einem Vater, der die Regeln der Selbstständigkeit nach dem dritten Konkurs satt und auf Verwaltungsangestellten
     umgeschult hatte. Sein Sohn besuchte das Gymnasium, der Abschluss wäre kein Problem gewesen, hätte er nicht ein Jahr vor dem
     Abitur begonnen, in einer städtischen Kneipe zu kellnern. Vier Wochen nach Dienstantritt hatte der Kneipenbesitzer einen Infarkt
     erlitten, mit 31. Macciato, den damals noch alle Manfred nannten, machte den Stellvertreter. Erst fünfmal pro Woche, bald
     sechsmal. An der schriftlichen Abiturprüfung nahm er noch teil, danach |101| war er für Schule und Ausbildung verloren. Als der Besitzer eines Tages wieder im Laden stand, erkannte er seinen Betrieb
     nicht mehr wieder. Am selben Tag wurde Macciato 50-Prozent-Teilhaber, bald gehörte ihm der Laden, bald ein zweiter. Über die
     kleine Stadt arbeitete er sich nach Hannover vor und von dort in den Osten, denn die Wiedervereinigung erwies sich als Segen.
     Der Übergang von Kneipe und Diskothek zu Nachtklub und Prostitution war fließend; als er Kontakt zu Menschen fand, die für
     Freunde nach rentablen Geldanlagen suchten, war er im Geschäft. Wer im Grenzgebiet zu Polen ein großes Rad drehen wollte,
     kam um Macciato nicht herum. Er brachte sich Polnisch bei, verschliss zwei Sprachlehrer und eine polnische Ehefrau.
    »Seitdem weiß ich, dass die erste Million wirklich die schwerste ist. Danach musst du schon ein Idiot sein, um noch zu scheitern.
     Oder größenwahnsinnig werden. Größenwahn ist eine gute Methode, um zum Pflegefall zu werden.«
    Sie hatte ihn nicht gebeten, sich so ausführlich einzulassen. Aber sie unterbrach ihn auch nicht. Zum Schluss kriegte er von
     allein die Kurve. »Ich habe meine Heimat nie vergessen. Das hast du im Blut, und wenn du es vergisst, vergisst

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