Die Hoffnung ist gruen
Rucksack und verlieà die Wohnung.
Eigentlich hatte sie Haro Bartels vorhin am Telefon versprochen, oben zu bleiben, bis er dort sei. Es war inzwischen nach zweiundzwanzig Uhr und Haro meinte, es wäre für sie zu gefährlich, alleine unten auf der StraÃe zu warten. Blödsinn, hatte Lisa insgeheim gedacht. Dann durfte sie sich zu keiner Tageszeit auf die StraÃe wagen. Das Leben in dieser Gegend war immer gefährlich â egal ob es Tag oder Nacht war. Daran war sie gewöhnt, seit ihrer Geburt. Warum sollte sie jetzt auf einmal Angst bekommen.
Angst empfand sie nur, weil Amelies Anblick vor ihrem inneren Auge nicht mehr verschwinden wollte.
Und um Marius sorgte sie sich. Der Gedanke, dass er aus der ganzen Sache nicht mehr herauskommen würde, jagte ihr ein ums andere Mal einen Schrecken ein.
Natürlich war sie sich ganz sicher, dass Marius Amelie nichts angetan hatte. Niemals wäre er zu so etwas fähig gewesen. Selbst dann nicht, wenn Amelie tatsächlich, wie der Kommissar behauptetet mit ihm hatte Schluss machen wollen.
Lisa riss die Haustür auf und trat hinaus. Es regnete nicht mehr, aber die Feuchtigkeit hing noch in der Luft. Lisa atmete die kühle, feuchte Abendluft tief ein und drückte sich eng an die Hauswand, um nicht aufzufallen.
Eine Menge Geräusche strömten auf sie ein. In der Siedlung war es nie still. Immer lief irgendwo ein Fernseher, schrie ein Kind, stritt sich lauthals ein Ehepaar oder grölten und pöbelten ein paar besoffene Teenies herum.
Auf der Parkbank zwischen Block sieben und acht hockten einige Typen. Trotz der Dunkelheit und der spärlichen Beleuchtung durch eine nur noch halbwegs funktionierende StraÃenlampe erkannte sie Socke und seine Clique.
Socke war ein widerlicher Typ. Er war mindestens schon zweiundzwanzig, hatte ewig fettige Haare und Pusteln wie ein Streuselkuchen. Socke lebte von der Stütze seiner Oma, und wenn die zur Neige ging, dann zockte er eben andere ab.
Er hatte bereits wegen Drogenhandels eine Jugendstrafe abbrummen müssen. Und ein zweites Mal wegen schwerer Körperverletzung eingesessen. Was ihn nicht davon abhielt, noch immer mit irgend so einem Dreckzeug herumzudealen.
Von Sockes Sorte gab es einige im Wohnviertel Kartloher Berg.
Lisa und Marius hatten stets versucht, sich von solchen Typen fernzuhalten. Marius fiel das nicht besonders schwer, er verbrachte sowieso die meiste Zeit auf dem FuÃballplatz des SV Worsten.
Beim FuÃballspielen war er in seinem Element, war glücklich und selbstbewusst.
Das war schon immer so gewesen. Schon als ganz kleiner Junge hatte Marius davon geträumt, in einem
richtigen
Verein FuÃball spielen zu dürfen. Doch sein Vater wollte es ihm nicht erlauben. Grundsätzlich sagte er zu allem Nein, was Geld kostete, und wenn es auch noch so wenig war.
Eines Tages hatte sich Marius dann auf sein schäbiges Kinderfahrrad geschwungen und war quer durch die Stadt zum örtlichen FuÃballverein SV Worsten e. V. geradelt, um sich dort anzumelden. Seine Grundschullehrerin hatte ihm nämlich erzählt, dass der Verein auch Kinder aus armen Familien aufnehmen würde. Der Vereinsbeitrag wurde von einer Stiftung aufgebracht, genauso wie die Sportbekleidung, die die Kinder benötigten. Man wollte damit das FuÃballspielen in einem Verein für alle Kinder zugänglich machen. Unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.
Damals war Marius auch das erste Mal dem Jugendtrainer Haro Bartels begegnet. Von Anfang an war er so etwas wie ein väterlicher Freund für Marius gewesen. Ein Ziehvater. Haro Bartels und seine Frau Nele hatten selbst keine Kinder, umso mehr engagierten sie sich im FuÃballverein für die Jugend.
Marius wollte ein besseres Leben führen. Mit einer Zukunft ohne Chancen wollte er sich nicht abfinden. Er tat einfach alles, um der Siedlung zu entkommen. Kein tägliches Mittagessen in der Armenküche, kein monotones Abhängen an trostlosen Plätzen, kein Leben ohne Hoffnung.
Er sah seine Chance im FuÃball, träumte von einer Bundesliga-Karriere beim VfL Wolfsburg, seinem Lieblingsverein. Sein gröÃter Wunsch: die Aufnahme im Sportinternat des VfL.
Haro hatte ihn bei diesem Vorhaben unterstützt, von Anfang an.
Und nun war er seinem Ziel so nahe wie nie zuvor. Und ausgerechnet jetzt musste so etwas Schreckliches geschehen.
Lisa wunderte sich selbst, wie abgeklärt sie sich nur wenige Stunden später
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