Die Hofnärrin
mich zwei Schritte hinter ihr, weil ich wusste,
dass es sie beruhigte, wenn sie einen vertrauten Menschen hinter sich
hörte. Sie hatte so viele Jahre in Einsamkeit verbracht, war so oft
einen Weg allein gegangen, dass sie es gern hatte, wenn jemand
gemeinsam mit ihr wachte.
Der Wind vom Fluss war zu eisig für lange Spaziergänge, selbst
im Schutze eines warmen Umhanges mit Pelzkragen. Plötzlich machte die
Königin auf dem Absatz kehrt, sodass ich, mit gesenktem Kopf und nicht
auf den Weg achtend, fast in sie hineingelaufen wäre.
»Ich bitte um Verzeihung, Hoheit«, sagte ich, verneigte mich
leicht und trat aus dem Weg.
»Du kannst neben mir gehen«, sagte sie.
Ich nahm den Platz an ihrer Seite ein und schwieg, wartete
darauf, dass sie sprach. Doch sie hüllte sich in Schweigen, bis wir zu
dem Gartentörchen kamen, das die Palastwache für sie öffnete. Hinter
dem Tor wartete eine Magd, um ihr den Umhang abzunehmen und ein Paar
trockene Schuhe anzuziehen. Ich nahm meinen Umhang über den Arm und
stampfte mit den Füßen auf die Matte, damit sie warm blieben.
»Komm mit«, sagte die Königin und stieg die steinerne
Wendeltreppe zu ihren Gemächern empor. Ich wusste, warum sie die
Gartentreppe genommen hatte. Wären wir durch das Haupthaus gegangen,
hätten wir die große Halle und das Audienzzimmer durchqueren müssen, in
dem eine Menge Bittsteller der Königin harrten, die Hälfte von ihnen
mit Petitionen für Söhne oder Brüder, die wie Tom Wyatt die Todesstrafe
erwartete. Wenn Königin Maria die Messe besuchen oder zum Mahl gehen
wollte, musste sie sich ihren Weg durch eine Menge tränenüberströmter
Frauen bahnen, die ihr flehend die Hände entgegenreckten und ihren
Namen riefen. Unablässig bettelten sie um Gnade, doch stets musste die
Königin ablehnen. Kein Wunder, dass sie sich lieber allein im Garten
erging und die geheime Treppe benutzte.
Die Treppe führte zu einem kleinen Vorzimmer, das direkt in
die königlichen Privatgemächer überging. Jane Dormer saß in
Gesellschaft von sechs weiteren Frauen im ersten Gemach und nähte, eine
der Hofdamen las aus dem Buch der Psalmen vor. Die Königin ließ ihren
Blick über die Damen gleiten wie eine Lehrerin über ihre gehorsamen
Schülerinnen, dann nickte sie erfreut. Wenn Philipp von Spanien eines
Tages eintraf, würde er einen sittsamen und ehrerbietigen Hofstaat
vorfinden.
»Komm her, Hannah«, sagte sie, ließ sich auf einem Sessel am
Kamin nieder und bedeutete mir, mich auf den Schemel davor zu setzen.
Ich plumpste auf den niedrigen Sitz, zog die Knie unters Kinn
und schaute zu ihr auf.
»Ich will, dass du etwas für mich tust«, sagte sie
unvermittelt.
»Natürlich, Euer Gnaden«, erwiderte ich. Ich wollte mich schon
erheben, bereit, einen eiligen Botengang zu erledigen, doch sie legte
eine Hand auf meine Schulter.
»Du sollst keine Nachricht überbringen«, sagte sie. »Du sollst
etwas für mich anschauen.«
»Etwas anschauen?«
»Mit deiner Gabe, mit deinem inneren Auge.«
Ich zögerte. »Euer Majestät, ich will es versuchen, doch Ihr
wisst, dass ich die Gabe nicht durch meinen Willen herbeizwingen kann.«
»Das weiß ich, doch zwei Mal hast du mir bereits die Zukunft
vorausgesagt: Beim ersten Mal war es die Prophezeiung der Königswürde,
beim zweiten Mal hast du mich davor gewarnt, dass mein Herz brechen
werde. Nun möchte ich wieder, dass du mich warnst.«
»Wovor soll ich Euch warnen?« Ich sprach so leise wie sie.
Niemand im Zimmer konnte unsere Stimmen über dem lauten Geprassel des
Kaminfeuers hören.
»Vor Elisabeth«, wisperte sie.
Mit leerem Blick starrte ich in die Flammen, in die rot
glühenden Höhlen unter den dicken Apfelholzscheiten.
»Majestät, Ihr habt klügere Ratgeber als mich«, brachte ich
mühsam heraus. Das Feuer glühte so stark, dass ich das flammende rote
Haar der Prinzessin zu sehen meinte, ihr selbstbewusstes, strahlendes
Lächeln.
»Aber keinen Ratgeber, dem ich mehr vertraue. Niemanden, der
deine Gabe besitzt.«
Ich zögerte. »Kommt Prinzessin Elisabeth an den Hof?«
Maria schüttelte den Kopf. »Sie wird nicht kommen. Sie gibt
vor, krank zu sein, todkrank, Bauch und Gliedmaßen seien geschwollen.
Sie sei zu krank, um aufzustehen. Zu krank, um reisen zu können. Es ist
eine Krankheit, die sie schon immer gehabt hat, diesmal keine
eingebildete, wie ich glaube. Aber diese Krankheit kommt immer sehr
gelegen.«
»Sehr gelegen?«
»Wenn sie vor Angst weder ein noch aus weiß«, stellte die
Königin
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