Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
Seite, hielt
die Zügel meines Pferdes und presste sein Knie gegen meines, hielt mich
halbwegs im Sattel.
    »Hannah!«, vernahm ich wieder Elisabeths Stimme wie aus weiter
Ferne. »Bist du krank?«
    »Rauch«, war alles, was ich herausbrachte. »Feuer.«
    Elisabeth schaute Richtung Stadt, auf die mein Finger zeigte.
»Ich rieche nichts«, meinte sie. »Ist das eine Warnung, Hannah? Wird
ein Feuer ausbrechen?«
    Benommen schüttelte ich den Kopf. Mein Entsetzen war so groß,
dass ich nicht sprechen konnte, doch wie aus einer anderen Welt vernahm
ich das leise, untröstliche Weinen eines kleinen Kindes. »Feuer«,
wiederholte ich leise »Feuer.«
    »Oh, das sind die Feuer von Smithfield«, sagte der Soldat.
»Die machen dem Mädchen zu schaffen. Das war's, nicht wahr, Kind?«
    Auf Elisabeths fragenden Blick hin begann er zu erklären.
»Neue Gesetze. Ketzer sollen den Feuertod erleiden. Heute brennen sie
auf dem Smithfield-Platz. Ich kann's nicht riechen, aber unsere Kleine
hier anscheinend schon. Das hat sie so aufgeregt.« Mit schwerer Hand
schlug er mir auf die Schulter. »Ist nicht erstaunlich«, meinte er.
»Eine schlimme Sache.«
    »Verbrennen?«, forschte Elisabeth. »Ketzer verbrennen? Ihr
meint – Protestanten? In London? Heutzutage?« Ihre Augen
brannten vor Zorn, doch das machte keinen Eindruck auf den Soldaten. Er
hegte keinerlei Respekt vor zwei jungen Frauen, von denen eine vor
Entsetzen verstummt war, während die andere vor Zorn raste.
    »Ja«, sagte er knapp, »es ist eine neue Welt. Eine neue
Königin auf dem Thron, ein neuer König an ihrer Seite und ein neues
passendes Gesetz dazu. Und jeder, der zum reformierten Glauben
übergetreten war, hat sich nun wieder besonnen, wenn er klug war. Eine
gute Sache, sag ich, und Gottes Segen darauf, sag ich. Seit König
Heinrich sich von Rom losgesagt hat, haben wir nichts als schlechtes
Wetter und Unglück gehabt. Doch jetzt gilt das Wort des Papstes wieder,
der Heilige Vater wird über England den Segen sprechen, und wir werden
einen Sohn und Thronerben und endlich wieder anständiges Wetter haben.«
    Elisabeth schwieg. Sie nahm ihre Parfümkugel vom Gürtel, legte
sie in meine Hand und führte diese zu meiner Nase, ließ mich den
aromatischen Duft getrockneter Orangen und Nelken riechen. Den Gestank
von brennendem Fleisch konnte er jedoch nicht vertreiben, nichts würde
mich jemals von dieser Erinnerung befreien. Ich konnte sogar die
Schreie der Unglücklichen auf den Scheiterhaufen hören, die Bitten an
ihre Angehörigen, sie sollten doch das Feuer anfachen und mehr Holz
aufschichten, damit der Tod rascher komme und sie nicht so gequält
würden.
    »Mutter«, würgte ich hervor. Dann schwieg auch ich.
    In eisigem Schweigen ritten wir nach Hampton Court und wurden
von den Torwächtern in Empfang genommen. Sie jagten uns zur
rückwärtigen Pforte hinein, als schämten sie sich, uns geziemend zu
begrüßen. Nachdem die Tür zu ihren Privatgemächern hinter uns ins
Schloss gefallen war, drehte Elisabeth sich um und nahm meine kalten
Hände.
    »Ich habe keinen Rauch gerochen, niemand konnte ihn riechen.
Der Soldat wusste nur, dass heute Verbrennungen stattfinden, er hat
auch nichts gerochen.«
    Ich schwieg.
    »Es liegt an deiner Gabe, nicht wahr?«, fragte sie neugierig.
    Ich räusperte mich. Ich erinnerte mich an diesen seltsamen
zähen Geschmack im Gaumen, den Geschmack des Rauches, wenn menschliches
Fleisch verbrannt wird. Wieder einmal hob ich die Hand, um ein nicht
vorhandenes Rußteilchen von meiner Wange zu wischen.
    »Ja«, gab ich zu.
    »Du bist mir von Gott geschickt worden, um mich zu warnen«,
sagte sie. »Andere hätten es mir vielleicht auch gesagt, doch du warst
wirklich dabei – ich habe den Terror in deinem Gesicht
gespiegelt gesehen.«
    Ich nickte. Sie konnte es sich zurechtlegen, wie sie wollte.
Ich wusste, sie hatte meinen ganz persönlichen Horror mit angesehen:
Das Furchtbare, das ich als Kind erlebt hatte, als sie meine Mutter aus
unserem Haus zerrten, um sie an einen Pfahl zu binden und zu ihren
Füßen das Feuer zu entzünden. Es war an einem Sonntagnachmittag
gewesen; jeden Sonntagnachmittag, wenn die Christen ihren Spaziergang
machten, brannten die Juden. Es war eine Volksbelustigung, ein frommes
Schauspiel und eine Tradition – doch für mich bedeutete es den
Tod meiner Mutter und das Ende meiner Kindheit.
    Prinzessin Elisabeth schritt zum Fenster, kniete nieder und
barg ihren rot flammenden Kopf in den Händen. »Lieber Gott,

Weitere Kostenlose Bücher