Die Hofnärrin
erfreue und kräftig zunehme, trug auch nicht
gerade zum Wohlergehen ihrer Halbschwester bei. In Pelze gehüllt lag
Elisabeth auf ihrem Ruhebett und starrte teilnahmslos und mit vor Kälte
geröteter Nase durch ein Fenster mit gesprungener Scheibe auf einen
Garten, über dessen verunkrautete Beete der eisige Januarwind fegte.
Wir hörten, dass das Parlament das Land wieder dem
römisch-katholischen Bekenntnis unterworfen hatte und dass die
Abgeordneten vor Freude geweint hätten, wieder in den Schoß der Kirche
aufgenommen zu werden. Zum Erntedankfest wurde eine Kirchenzeremonie
abgehalten, die England wieder der Herrschaft des Papstes unterstellte,
welche es unter Heinrich abgeschüttelt hatte. An diesem Tag sah
Elisabeth besonders düster drein: Das Erbe ihres Vaters und der ganze
Stolz ihres Bruders waren durch den Sieg ihrer Schwester vernichtet
worden. Von jenem Tage an ging Elisabeth drei Mal täglich mit fromm
gesenktem Kopf zur Messe. Kein Abweichen mehr von der vorgeschriebenen
Zeremonie – nun stand zu viel auf dem Spiel.
Als die Tage länger wurden, als der Schnee schmolz und in
eiskalten Pfützen stehen blieb, wurde Elisabeth ein wenig kräftiger und
machte wieder Spaziergänge im Garten. Ich pflegte sie dann zu
begleiten, lief in meinen dünn besohlten Reitstiefeln neben ihr her,
zum Schutz gegen die Kälte in eine Decke gehüllt, blies an meine kalten
Hände und klagte über den eisigen Wind.
»In Ungarn wäre es kälter«, bemerkte sie bloß.
Ich bewahrte dazu Schweigen. Jeder schien über die angeblich
geheimen Pläne der Königin, was mit Elisabeth zu geschehen habe,
Bescheid zu wissen. »Aber in Ungarn wäret Ihr ein geehrter Gast«,
wandte ich ein. »Und Ihr hättet ein Feuer, an dem Ihr Euch wärmen
könntet.«
»Es gibt nur ein Feuer, das die Königin für mich anzünden
will«, entgegnete Elisabeth grimmig. »Und wäre ich erst einmal in
Ungarn, dann würde es mir so heimatlich werden, dass ich nie mehr nach
England zurückkehren dürfte. Nein, ich gehe ganz bestimmt nicht nach
Ungarn. Ich werde England niemals verlassen, das kannst du ihr
ausrichten. Ich werde England niemals freiwillig verlassen. Das
englische Volk wird niemals erleben, dass ich als Gefangene abgeführt
werde. Ich bin nicht ohne Freunde, auch wenn ich keine Schwester mehr
habe.«
Ich nickte und bewahrte diplomatisches Schweigen.
»Aber wenn nicht nach Ungarn – und gesagt hat sie es
mir nicht, dazu hatte sie nicht den Mut –, wohin will sie mich
dann schicken?«, überlegte Elisabeth laut. »Und, bei Gott –
wann?«
Frühling
1555
Z ur Überraschung aller gab die Königin
zuerst nach. Als der bittere Winter in einen nassen Frühling überging,
wurde Elisabeth zum Hofe beordert – ohne dass sie ein
Geständnis ablegen musste, ja, ohne dass ein Wort zwischen den
Schwestern gewechselt worden wäre. Mir wurde befohlen, in ihrem Gefolge
zu reiten, ohne dass mir dieser plötzliche Sinneswandel erklärt wurde,
was ich aber auch nicht erwartet hatte. Für Elisabeth war es vielleicht
nicht die Art Rückkehr, die sie im Sinn gehabt hatte, denn sie wurde
fast wie eine Gefangene heimgebracht. Wir ritten am frühen Morgen und
dann wieder gegen Abend, damit wir möglichst ungesehen in die
Hauptstadt gelangten und kein Aufsehen erregten wie bei Elisabeths
Übersiedlung nach Woodstock. Wir ritten um die Stadt herum, da die
Königin befohlen hatte, Elisabeth solle nicht durch die großen Straßen
Londons reiten. Auf unserem Weg durch die kleinen Gassen geschah es
jedoch, dass mein Herz plötzlich vor Angst hämmerte. Ich zügelte mein
Pferd, sodass auch die Prinzessin zum Halt gezwungen wurde.
»Reite weiter, Narr«, sagte sie ungnädig. »Treib ihn an.«
»Gott sei mir gnädig, Gott sei mir gnädig«, stammelte ich.
»Was hast du denn?«
Sir Henry Bedingfields Mann sah mich wie erstarrt mitten auf
der Gasse stehen, wendete sein Pferd und kam zurückgeritten. »Nun komm
weiter«, sagte er barsch. »Der Befehl lautet, dass wir vorankommen.«
»Mein Gott!«, stieß ich wieder hervor. Mehr konnte ich nicht
sagen.
»Sie ist eine heilige Närrin«, sagte Elisabeth. »Vielleicht
hat sie eine Vision.«
»Ich gebe ihr gleich eine Vision«, schalt der Mann, nahm die
Zügel und zog mein Pferd vorwärts.
Elisabeth kam an meine Seite. »Seht doch, sie ist weiß wie ein
Laken und zittert. Hannah? Was ist dir?«
Ich wäre vom Pferd gefallen, hätte sie mich nicht an der
Schulter festgehalten. Der Soldat ritt an meiner anderen
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