Die Hofnärrin
reifenden Frau, den ich nicht
wahrhaben wollte und unter geborgter Knabenkleidung verbarg.
»Ist sie eine heilige Närrin?«, fragte er in neutralem Ton.
Ich neigte den Kopf. »So nennt man mich, Euer Eminenz.« Ich
lief rot an vor Verlegenheit, ich wusste nicht, wie man so einen hohen
Kirchenmann in Englisch anredete. Wir hatten noch nie einen Kardinal
oder päpstlichen Legaten bei Hofe gehabt.
»Du hast Visionen?«, forschte er weiter. »Du hörst Stimmen?«
Ich wusste genau, dass großartige Beteuerungen nur auf Skepsis
stoßen würden. Diesen Mann konnte man nicht nach Art der Spielleute
beeindrucken.
»Sehr selten«, antwortete ich knapp, sehr um korrekte
englische Aussprache bemüht. »Und leider nie dann, wenn ich es will.«
»Sie hat meine Krönung vorausgesehen«, erzählte Königin Maria.
»Und den Tod meines Bruders vorausgesagt. Und ihrem ersten Herrn fiel
sie dadurch auf, dass sie auf der Fleet Street einen Engel gesehen hat.«
Der Kardinal lächelte, was sein dunkles, schmales Gesicht
schlagartig verschönte. Ich erkannte, dass er sowohl ein
liebenswürdiger als auch ein gut aussehender Mann war. »Einen Engel?«,
rätselte er. »Wie sah er denn aus? Woher wusstest du, dass es ein Engel
war?«
»Er kam mit ein paar Gentlemen«, gab ich verlegen zur Antwort.
»Und ich konnte ihn kaum sehen, weil er so leuchtend weiß war. Und dann
verschwand er. Er war nur für einen Augenblick da, dann war er
verschwunden. Die anderen haben gesagt, er müsse ein Engel gewesen
sein. Ich habe das nie gesagt.«
»Eine sehr bescheidene Wahrsagerin«, meinte der Kardinal
lächelnd. »Deinem Akzent nach stammst du aus Spanien?«
»Mein Vater ist aus Spanien, doch wir leben jetzt in England«,
erwiderte ich argwöhnisch. Ich spürte, dass ich instinktiv einen halben
Schritt auf die Königin zu gemacht hatte, und erstarrte augenblicklich.
Ich durfte nicht einmal zusammenzucken – diese Männer konnten
Furcht schneller aufspüren als ein Luchs.
Doch der Kardinal zeigte gar nicht so viel Interesse an mir.
Er lächelte dem König zu. »Kannst du uns denn gar keinen Ratschlag
geben, heilige Närrin? Wir müssen Gottes Werk verrichten, wie England
es seit Generationen nicht mehr erlebt hat. Wir holen dieses Land in
den Schoß der Kirche zurück. Wir bringen ins Lot, was so lange aus dem
Gleichgewicht geraten war. Und selbst die Stimmen der Abgeordneten im
Parlament werden von Gott gelenkt.«
Ich zögerte. Mir war klar, dass dies eher eine rhetorische
Frage gewesen war, die keine Antwort verlangte. Doch die Königin sah
mich auffordernd an.
»Ich würde meinen, es sollte mit Nachsicht getan werden«,
sagte ich. »Doch dies ist meine Ansicht, kein Ausdruck meiner Gabe. Ich
wünschte nur, es könnte mit Nachsicht geschehen.«
»Es sollte rasch und mit Macht getan werden«, sagte die
Königin. »Je länger es dauert, desto größer werden die Zweifel. Besser,
es wird einmal und gründlich getan, als immer wieder neu mit hundert
kleinen Änderungen.«
Die beiden Männer sahen indes nicht überzeugt aus. »Man sollte
die Menschen lieber überzeugen und nicht vor den Kopf stoßen«, gab ihr
Prinz Philipp, der Herrscher über halb Europa, zu verstehen.
Ich sah sie bei seinen Worten dahinschmelzen, doch das änderte
ihre Meinung nicht. »Dieses Volk ist stur«, erklärte sie kategorisch.
»Wenn es die Wahl hat, kann es sich nie entscheiden. Sie haben mich
gezwungen, die arme Jane Grey hinrichten zu lassen. Sie hat ihnen die
Wahl geboten, doch Engländer können nicht wählen. Sie sind wie Kinder,
die sich weder für den Apfel noch für die Pflaume entscheiden
können – in beide müssen sie hineinbeißen und sie verderben.«
Der Kardinal nickte dem König zu. »Euer Hoheit hat recht«,
sagte er. »Dieses Volk hat schon zu viele Veränderungen durchgemacht.
Am besten ist, wir lassen das ganze Land den Eid schwören, ein Mal, und
es ist getan. Dann rotten wir die Häresie mit Stumpf und Stiel aus und
haben in einem Zug erreicht, dass dieses Land Frieden bekommt und den
alten Bräuchen wieder anhängen kann.«
Der König blickte immer noch nachdenklich drein. »Wir müssen
rasch und klar handeln, aber doch mit Barmherzigkeit«, bestimmte er. Er
wandte sich an die Königin. »Ich kenne Eure bewundernswerte
Leidenschaft für die Kirche. Aber Ihr müsst Eurem Volk eine sanfte
Mutter sein. Es muss überzeugt werden, nicht gezwungen.«
Mit lieblicher Miene legte sie eine Hand auf ihren
geschwollenen Leib. »Ich will in der Tat
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