Die Hofnärrin
noch ein kurzes Stück. Ich
ertappte mich dabei, dass ich heulte wie ein Baby, deshalb musste ich
wieder Halt machen. Schritt für Schritt kam ich voran, bis ich zu
unserem kleinen Geschäft in der Nähe der Fleet Street gelangte; dort
hämmerte ich an die Tür des Nachbarn.
»Meine Güte, was ist dir denn passiert?«
Ich brachte ein verzerrtes Lächeln zustande. »Ich habe ein
Fieber erwischt«, sagte ich. »Ich habe meinen Schlüssel vergessen und
mich verlaufen. Könntet Ihr mich hereinlassen?«
Er trat einen Schritt zurück. In diesen Zeiten hatte jeder
Angst vor Ansteckung. »Brauchst du etwas zu essen?«
»Ja«, gab ich zu. Mir ging es zu schlecht, als dass ich mir
Stolz hätte leisten können.
»Ich stelle dir etwas vor die Tür«, versprach er. »Hier ist
der Schlüssel.«
Ich nahm ihn wortlos entgegen und taumelte auf unseren Laden
zu. Der Schlüssel ließ sich mühelos im Schloss drehen, und ich trat in
den verdunkelten Raum. Sogleich war ich von dem vertrauten Duft nach
Druckerschwärze und trockenem Papier umgeben. Ich stand da und atmete
das Parfüm der Ketzerei ein, diesen mir so vertrauten Duft von Heimat.
Ich hörte ein Kratzen und Klirren vor der Tür, ging nachsehen
und fand eine Pastete und einen kleinen Becher Bier. Auf dem Boden
hinter der Theke hockend verschlang ich das Mahl, den Rücken gegen die
warmen Folianten gepresst und mit dem Geruch der Lederbuchrücken in der
Nase.
Sobald ich aufgegessen hatte, stellte ich die Schüssel wieder
auf die Schwelle und verriegelte die Tür. Dann ging ich in den Raum,
der die Druckerei und das Lager bildete, und holte die Bücher aus dem
untersten Regal. In meinem eigenen kleinen, auf Böcken stehenden Bett
mochte ich nicht schlafen, ich wollte nicht einmal im Bett meines
Vaters schlafen. Ich wollte ihm näher sein. Ich hegte die
abergläubische Furcht, dass ich, sobald ich zu Bett gegangen wäre, von
Bischof Bonner aus dem Schlaf gerissen würde, doch wenn ich mich hinter
den geliebten Büchern meines Vaters versteckte, würden sie mich
beschützen.
Ich bettete mich auf das unterste Regalbrett seiner
Bibliothek, stapelte ein paar Folianten zu einem Kopfkissen und zog
einige schwere französische Quartbände heran, damit ich nicht von dem
Brett herunterfiel. Als sei ich selbst ein verlorenes Buch, rollte ich
mich in der Form eines G zusammen, schloss die Augen und schlief ein.
Als ich am Morgen erwachte, hatte ich die
Entscheidung über meine Zukunft getroffen. Ich fand ein Stück
Manuskriptpapier und schrieb einen Brief an Daniel, wie ich ihn früher
nicht für möglich gehalten hätte.
Lieber Daniel,
Nun ist es an der Zeit, dass ich
den Hof und England verlasse. Bitte komm sofort und hole mich und die
Druckerpresse ab. Sollte dieser Brief Dich nicht erreichen oder ich
innerhalb einer Woche nichts von Dir hören, werde ich zu Dir kommen.
Hannah
Als ich den Brief versiegelte, war ich ganz
sicher – wie insgeheim schon seit Monaten –, dass es
in Königin Marias England keine Sicherheit mehr für irgendwen geben
konnte.
Es klopfte. Mein Herz machte wieder diesen mir schon
vertrauten Satz, doch dann erkannte ich durch die Läden die Silhouette
unseres Nachbarn.
Ich machte ihm auf. »Gut geschlafen?«, wollte er wissen.
»Ja.«
»Gut gegessen? War das nicht eine feine Pastete?«
»Ja. Ich danke Euch.«
»Jetzt besser?«
»Ja. Mir geht es gut.«
»Kehrst du heute zum Hof zurück?«
Einen Augenblick zögerte ich, doch dann wurde mir bewusst,
dass ich in England keinen anderen Platz mehr hatte. Wurde ich bei Hofe
vermisst, so kam dies einem Schuldeingeständnis gleich. Ich musste
zurück und die Rolle der Unschuldigen, der rechtmäßig aus dem Gefängnis
Entlassenen spielen, bis Daniel mich holen kam.
»Ja, heute«, erwiderte ich heiter.
»Könntest du dafür sorgen, dass dies in die Hand der Königin
gelangt?«, fragte er, verlegen, aber entschlossen. Er reichte mir eine
Empfehlungskarte, einen illustrierten Bogen, auf dem er möglichen
Käufern versicherte, alle Bücher, die moralisch und lehrreich und von
der Kirche erlaubt seien, liefern zu können. Ich nahm die Karte und
dachte ironisch an meinen letzten Besuch in unserem Geschäft, als ich
die Bemerkung über die armselige Lektüre gemacht hatte, die von der
Kirche noch gestattet war. Vor solchen Bemerkungen würde ich mich in
Zukunft hüten.
»Ich sorge dafür, dass sie es bekommt«, log ich den Nachbarn
an. »Ihr könnt Euch auf mich verlassen.«
Ich kehrte an einen Hof
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