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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Dies
war ein mutterloses Kind. Ich beugte mich über ihn und spürte Tränen in
meinen Augen brennen. Dies war ein Kind, dessen Kummer und Angst vor
allem ich am besten verstehen musste. Ich hatte die Angst meiner
Kindheit unter sämtlichen Sprachen der Christenheit versteckt, konnte
sie samt und sonders flüssig sprechen. Danny aber – so viel
kleiner, so viel ängstlicher – war stumm geworden.
    »Danny«, versprach ich ihm zärtlich. »Ich werde deine Mutter
sein. Bei mir wirst du wohl behütet sein.«
    »Ist er denn nicht dein Kind?«, fragte John Dee. »Er sieht dir
so ähnlich.«
    Ich schaute zu ihm auf und fühlte mich geneigt, ihm die
Wahrheit anzuvertrauen, doch die Angst hieß mich schweigen.
    »Ist er einer aus dem Auserwählten Volk?«, erkundigte sich
John Dee leise.
    Schweigend nickte ich.
    »Beschnitten?«, fragte er weiter.
    »Nein«, sagte ich. »In Calais war es noch nicht so weit, und
hier ist es unmöglich.«
    »Vielleicht braucht er das äußere Zeichen, dass er zum Volke
gehört«, meinte Dee. »Vielleicht muss er erst seinem Volke zugehören,
bevor er anfängt zu sprechen.«
    Ich sah ihn verwirrt an. »Woher sollte er das wissen?«
    John Dee lächelte. »Dieser Kleine ist uns von den Engeln
gesandt worden«, sagte er. »Er mag mehr wissen als wir alle zusammen.«
    Lady Amy Dudley verließ ihr Zimmer während
der nächsten drei Tage nicht. Robert und John Dee machten Ausritte,
lasen in der Bibliothek, spielten um kleinere Summen Geldes und
diskutierten bei Tag oder bei Nacht, beim Reiten oder Spazierengehen,
beim Essen oder Spielen. Sie sprachen über die mögliche Zukunft
Englands, darüber, wie Adel und Parlament beschaffen sein sollten, wie
weit man die Grenzen in Übersee auszudehnen vermochte, welche Chance
das kleine Inselkönigreich England gegen die mächtigen Reiche des
Kontinents habe. John Dees Lieblingsthema – geradezu seine
Besessenheit – war die Überzeugung, Englands einzigartige Lage
werde es ihm ermöglichen, seine Schiffe weit über das Meer
hinauszuschicken und ein Imperium zu erschaffen, das sich über die
Weltmeere erstrecken sollte. Ein Imperium, das die bisher unbekannten
Länder der Welt beherrschen könnte. Dee hatte die ungefähre Größe des
Erdballs berechnet und war überzeugt, dass noch riesige Länder der
Entdeckung harrten. »Christoph Kolumbus«, sagte er zu Lord Robert, »war
ein tapferer Mann, aber kein Mathematiker. Es ist ganz offensichtlich,
dass es keinen Weg nach China gibt, für den man nur ein paar Wochen
braucht. Mit der richtigen Berechnung lässt sich nachweisen, dass die
Erde zwar rund, aber viel, viel größer ist, als Kolumbus glaubte. Und
in diesem zusätzlichen Teil muss es Land geben. Und wäre es nicht
glänzend, wenn dieses Land zur englischen Krone gehörte?«
    Ich pflegte häufig mit ihnen auszureiten oder zu speisen, und
dann fragten sie mich nach spanischen Gebräuchen oder nach meinen
Erlebnissen in Portugal sowie nach meiner Meinung über diese oder jene
Pläne. Wir hüteten uns, auf einen etwaigen zukünftigen Monarchen
anzuspielen, unter dessen Regentschaft solche ehrgeizigen Pläne zur
Eroberung der Welt verwirklicht werden konnten. Während die Königin auf
ihren Sohn und Erben wartete, ließ sich nichts mit Sicherheit
voraussagen.
    Am Abend des dritten Tages, den seine Lordschaft zu Besuch
weilte, erreichte ihn eine Nachricht aus Dover, und er ließ mich und
John Dee in der Bibliothek allein. John Dee hatte eine Weltkarte nach
dem Modell seines Freundes Gerardus Mercator gezeichnet und versuchte
nun, mir zu erklären, dass ich, weil die Erde eine Kugel sei, mir diese
Karte vorstellen müsse wie deren abgezogene Haut: Wie die Schale, die
man von einer Orange abgezogen und flach ausgebreitet habe.
    Er bemühte sich, mir das Konzept zu erklären, bis er in Lachen
ausbrach und meinte, ich müsse mich wohl damit zufriedengeben, Engel zu
sehen, Längengrade seien nicht unbedingt meine Stärke. Er nahm seine
Karten und begab sich mit ihnen auf sein Zimmer. In diesem Augenblick
trat Lord Robert mit einem Papier in der Hand ein. »Endlich habe ich
Nachricht von deinem Mann erhalten, er ist wohlbehalten«, sagte er zu
mir.
    Ich sprang auf die Beine. Meine Knie zitterten dermaßen, dass
ich beinahe gestolpert wäre. »Mylord?«
    »Er wurde von den Franzosen gefangen genommen, da sie in ihm
einen Spion vermuteten. Nun halten sie ihn zusammen mit anderen
englischen Soldaten gefangen«, berichtete er. »Ich denke, ich kann
dafür

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