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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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sagt, sie sei zu schwach, um die
Messe zu besuchen.«
    »Sag Lady Elisabeth, ich bestehe darauf, sie heute Morgen in
meiner Kapelle zu sehen«, sagte Lady Maria mit ruhiger Stimme, doch als
sie sich von ihrer Hofdame das Messbuch geben ließ und umblätterte, um
die Stelle für die heutige Predigt zu finden, sah ich, wie ihre Hände
zitterten.
    Wir standen bereits auf der Schwelle von Lady Marias
Gemächern, und der Leibgardist wollte soeben die Tür aufstoßen, damit
wir die Galerie mit den Anhängern und Bittstellern passieren konnten,
als noch eine von Elisabeths Damen durch eine Seitentür hereinschlüpfte.
    »Euer Hoheit«, flüsterte sie, ängstlich darauf bedacht, ihre
Nachricht loszuwerden.
    Die Königin wandte nicht einmal den Kopf. »Sag Lady Elisabeth,
ich erwarte sie zur Messe«, bestimmte sie und nickte dem Wächter zu. Er
stieß die Tür auf, und wir vernahmen das leise, ehrfurchtsvolle Raunen,
das die Königin bei allen ihren öffentlichen Auftritten begleitete. Die
Menschen knicksten und verneigten sich, während sie zwischen ihnen
hindurchschritt. Auf ihren Wangen brannten zwei rote Flecken, die von
ihrem Zorn sprachen. Auch die Hand mit dem Rosenkranz aus
Korallenperlen zitterte.
    Lady Elisabeth erschien verspätet zur Messe. Mit einem
vernehmlichen Stöhnen und schmerzverkrümmt zwängte sie sich auf die
voll besetzte Empore. Gemurmel erhob sich, man hatte Mitleid mit dem
jungen, von Schmerzen geplagten Mädchen. Elisabeth schlüpfte in die
Bank hinter der Königin und flüsterte einer ihrer Damen vernehmlich zu:
»Martha, falls ich ohnmächtig werde, kannst du mich dann aufrecht
halten?«
    Die Aufmerksamkeit der Königin war auf den Priester gerichtet,
der mit dem Rücken zu uns die Messe zelebrierte und nichts sah außer
Brot und Wein auf seinem Altar. Für Maria wie für den Priester war dies
der einzige Augenblick des Tages, der von Bedeutung war, der Rest war
nur eitles weltliches Schauspiel. Obwohl wir übrigen Sünder es
natürlich nicht abwarten konnten, bis das weltliche Schauspiel wieder
einsetzte.
    Lady Elisabeth verließ die Kirche im Gefolge der Königin, sie
hielt sich den Bauch und stöhnte. Sie konnte vor Schmerzen kaum gehen,
und ihr Gesicht war totenbleich, als hätte sie es mit Reispuder
gepudert. Die Königin schritt mit grimmiger Miene voran. Als sie ihre
Gemächer erreicht hatte, ordnete sie an, die Türen zur öffentlichen
Galerie zu schließen, um weder das mitleidige Gemurmel über Lady
Elisabeths Blässe hören zu müssen noch die Kommentare über ihre
Grausamkeit, einer Kranken den Gang zur Messe zu befehlen.
    »Das arme Mädchen gehört ins Bett«, bemerkte eine Frau
ostentativ in Richtung der geschlossenen Tür.
    »In der Tat«, murmelte die Königin.

Winter
1553
    O bwohl die Uhr eben
erst sechs Uhr abends
geschlagen hatte, war es finster wie um Mitternacht. Der Nebel schälte
sich wie ein schwarzes Leichentuch vom Kadaver des kalten Flusses. In
meiner Nase hing der Geruch der Verzweiflung, der den massiven,
feuchten, tränenden Mauern des Tower of London entströmte –
wahrlich der düsterste Palast, den ein Monarch je hatte erbauen lassen.
Ich meldete mich an der Hinterpforte, und der Wächter hielt eine
brennende Fackel hoch und studierte mein bleiches Gesicht.
    »Ein junger Bursche«, lautete sein Urteil.
    »Ich habe einige Bücher, die ich Lord Robert bringen soll«,
sagte ich.
    Er zog die Fackel zurück, und ich war wieder von Dunkelheit
umgeben. Das Knirschen der Türangeln warnte mich davor, dass er im
Begriff war, das Tor aufzustoßen, und ich trat einen Schritt zurück, um
nicht von den schweren, nassen Flügeln getroffen zu werden. Dann betrat
ich den Tower.
    »Zeig mal her«, befahl der Wächter.
    Ich hielt ihm die Bücher hin. Es waren theologische Werke
papistischer Richtung, vom Vatikan genehmigt und vom Kronrat der
Königin abgesegnet.
    »Du darfst passieren«, sagte der Mann.
    Ich balancierte über das schlüpfrige Kopfsteinpflaster zum
Wachhaus, nahm von dort einen hölzernen Damm über einen stinkenden
Schlammpfuhl und gelangte schließlich über eine hölzerne Treppe zu
einer hoch gelegenen Tür in der Mauer des weißen Turms. Im Falle eines
Angriffs oder eines Befreiungsversuches konnten die wachhabenden
Soldaten jedweden Angreifer einfach die Treppe hinunterstoßen, und die
Festung war uneinnehmbar. Es war unmöglich, meinen Lord aus diesem Turm
zu befreien.
    An der Pforte wartete ein weiterer Soldat. Er führte mich
hinein, klopfte an eine

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