Die Holzhammer-Methode
das Mankeifett ist ein uraltes Hausmittel bei uns», gab diese Auskunft. «Es wird hauptsächlich äußerlich angewendet, bei wunden Füßen und Blasen, gegen Rheuma und Reißen, Ekzeme, Blutergüsse und vieles mehr. Aber auch innerlich wirkt es sehr gut, ganz ähnlich wie Lebertran.»
«Aber dafür müssen dann ja die armen, kleinen Murmeltiere sterben!»
«Schon, aber die werden sowieso bejagt, zumindest in Österreich. Gerade in den letzten Jahren haben die sich durch die milden Winter extrem vermehrt. Sie ruinieren Almwiesen und dringen teilweise sogar in Heustadel und Scheunen ein. Die werden also nicht extra für das Mankeifett geschossen, sondern das ist quasi Recycling. Der Brotaufstrich ist aber auch noch mit vielen Bergkräutern angereichert. Ich kann nur raten, probieren’s das einmal auf einem kräftigen Bauernbrot. Des schmeckt wie Griebenschmalz mit Kräutern. Resis gesunden Brotaufstrich mit original Mankeifett gibt es nirgends sonst zu kaufen, nicht einmal im Internet. Nur hier am Königssee.»
Tanja schaute sich das Etikett noch einmal an. Das lachende Murmeltier wartete also nur darauf, dass man es auspresste und zu Brotaufstrich oder Warzensalbe verarbeitete. Tanja entschied, dass die Gläser in jedem Fall originelle Mitbringsel waren, und kaufte drei Stück. Dann schlug sie mit den Kindern den Heimweg ein. Ihr Mann Mark war auf einer Bergtour. Am späten Nachmittag wollten sie sich in der Pension treffen und dann gemeinsam essen gehen. Tanja und ihr Mann waren beide Lehrer. Sie kamen aus Hof an der Saale, und es war ihr dritter Urlaub in diesen schönen Bergen. Sie mieteten immer die gleiche Ferienwohnung, eine gemütliche Nichtraucherwohnung im Dachgeschoss bei einer netten Familie mit Katzen und Kaninchen.
Für einen der nächsten Tage war dann noch ein Besuch der neu eröffneten Bergtherme geplant. Dort würden die Kinder den ganzen Nachmittag herumplanschen, während Tanja und Mark sich in der Sauna und auf der Liegewiese entspannten. Tanja freute sich schon darauf.
Die einsame Gestalt saß auf ihrem Stein an der Waldlichtung in der Abendsonne, die das gegenüberliegende Bergmassiv in ein dunkles Rosa tauchte. Schon als Kind war sie so oft wie möglich in die Natur geflüchtet, hatte manchmal stundenlang reglos auf einer Bergweide gelegen, so ruhig, dass ihr einmal sogar ein Mankei über den Fuß gehoppelt war. Denn unten im Tal war die Hölle. Eine Hölle, die für andere unsichtbar war. Eine Hölle, vor der das Kind nicht einmal von ihrer eigenen Mutter beschützt wurde. Die Mutter hatte weder sehen noch hören wollen. Sie war nur da gewesen, wenn es darum ging, vor dem ganzen Ort die Heile-Welt-Familie zu spielen. Dann hatte sie sich im Glanz ihres Mannes gesonnt. Des Mannes, der sich hinter verschlossenen Türen jederzeit und aus heiterem Himmel in ein jähzorniges Monster verwandeln konnte. Für ihn gab es nur zwei Sorten von Menschen: solche, die ihn behinderten, und solche, die er benutzen konnte. Mit dieser Einstellung war er sehr erfolgreich gewesen. Er hatte die erste Bergbahn im Tal durchgesetzt. Von ihm stammten die Pläne für das Schwimmbad und die Bobbahn. Der Nationalpark hingegen war ihm immer ein Dorn im Auge gewesen. Vor dem Rathaus hatten sie ihm nach seinem Tod eine Büste errichtet.
Es dämmerte bereits, als die Gestalt aufstand und den schmalen Trampelpfad einschlug, der auf den Hauptwanderweg führte. Etliche Exemplare von Aconitum napellus, dem Blauen Eisenhut, standen am Weg. Die dunkelblauen, helmartigen Blütenblätter leuchteten im schwachen Licht. Ein Lächeln zog über das verbitterte Gesicht.
Christine rauschte in ihrem Z 4 über die Autobahn. Der Haustürschlüssel lag schwer in ihrer Handtasche, doch ihre Gedanken waren nicht in Rosenheim. Sie schwirrten hin und her zwischen Mathilde Zechner, Franz Holzhammer und Matthias. Sie begann, Vergleiche anzustellen zwischen ihrem Mann – ihrem zukünftigen Exmann – und dem bayerischen Buddhisten. Sie hatte Matthias erst ein paarmal gesehen, aber eins war sonnenklar: Er war das pure Gegenteil von ihrem Mann Bernd.
Bernd war ein ehrgeiziger Überflieger, für den die Karriere immer an erster Stelle gestanden hatte. Viel Geld zu machen und dabei möglichst berühmt zu werden – das war sein Lebensziel. Bisher hatte Christine diesen Ehrgeiz nie hinterfragt. Aber jetzt stellte sich heraus, dass auch ihre Ehe in seinen Augen wohl nicht viel mehr gewesen war als eine Zweckgemeinschaft. Man konnte
Weitere Kostenlose Bücher