Die Horde 1 - Der Daemon des Kriegers
späten Morgen des vierten Tages, als Kade seine Beute während einer der viel zu seltenen Pausen vom Pferd zerrte. Er stieß Corvis brüsk in ein paar Büsche, wo er sich erleichtern sollte, und Corvis hätte vor Schmerz fast aufgekeucht, als die Dornen die Haut an seiner linken Hand aufrissen und Blut floss. Aber er lächelte nur, brach den größten Dorn ab und verbarg ihn zwischen den Fingern.
Das war zwar kein ideales Werkzeug, aber sicher rechnete Kade nicht einmal damit.
Als der Abend hereinbrach und der Kopfgeldjäger zu dem Pferd trat, um seinen Gefangenen für die Nacht an einen Baum zu binden, hatte Corvis mit dem Dorn zwar erst knapp die Hälfte der Seile durchtrennt, mit denen seine Hände zusammengebunden waren. Aber das musste genügen.
Verzweifelt riss er an den nun schon recht dünnen Fesseln und rieb sich dabei die Haut von den Handgelenken, aber schließlich gaben die Stricke mit einem lauten Schnappen nach. Corvis lehnte sich aus dem Sattel und packte den Griff von Kades Schwert, während er seinem Häscher mit dem Unterarm einen Nasenstüber verpasste. Kade taumelte überrascht zurück. Das Blut strömte ihm nur so aus den Nasenlöchern, und Corvis richtete sich auf, das Schwert des Kopfgeldjägers in der Hand. Er wollte gerade mit der flachen Seite gegen die Flanke des Pferdes schlagen …
… als er fasziniert innehielt. Die Waffe bewegte sich. Die Runen tanzten über den Rand der Klinge, und im nächsten Moment hielt er nicht mehr den Griff eines Schwertes in der Faust, sondern den Schaft einer weit schwereren Waffe. Was eben noch das Schwert von Evislan Kade gewesen war, hatte sich im Nu in eine furchteinflößende Streitaxt verwandelt, gerade klein genug, um von einer Hand geschwungen zu werden.
Irgendwo, in einem verborgenen Winkel seines Verstandes, zu dem Corvis nur in seinen schlimmsten Albträumen Zugang hatte, stieß eine Stimme ein einzelnes Wort hervor.
»Spalter.«
Kade griff ihn an, und Corvis schlug zu, ohne den Blick von dieser herrlichen, bösartigen Waffe zu nehmen. Sein Schlag landete mitten auf der bereits gebrochenen Nase. Noch während der Kopfgeldjäger auf dem Boden zusammenbrach, bückte sich Corvis, durchtrennte die Fesseln an seinen Knöcheln mit der Axt und trieb dann das Pferd an.
Er sah sich weder um, noch achtete er darauf, wohin er ritt. Er hatte nur Augen für die Beute in seiner Faust. Selbstverständlich wusste er ganz genau, was er da in der Hand hielt, denn er kannte die Legenden über die Kholben Shiar, die von Dämonen geschmiedeten Waffen. Dass ihm eine derart mächtige Waffe so leicht in die Hände fiel, erschien fast als ein Zeichen der Götter.
Corvis Rebaine ritt tiefer in den Wald hinein, während sich in seinem Kopf die Gedanken an die Macht und die Möglichkeiten, die ihm nun offen standen, förmlich überschlugen und ihn in zunehmendem Maße ein Gefühl von Bestimmung überkam.
Die Sonne brannte so heiß vom Himmel wie immer, aber hier, im Vorgebirge des Cadriest-Massivs, wurde ihre Wirkung immerhin ein wenig abgemildert. Die Gebirgskette warf ihren langen, gezackten Schatten über die Hügel und Täler unter ihr und bildete einen schützenden Vorhang gegen die alles versengende Glut. In diesem Schatten gediehen saftige Wiesen, und so durchstreifen die Täler zahlreiche Tiere, die sich von diesen Gräsern oder voneinander ernährten.
Es war kein schlechter Ort, um zu leben, wenn einem fehlende menschliche Gesellschaft nichts ausmachte. Für jemanden, der andere Menschen ausdrücklich meiden wollte, war es gar das reinste Paradies.
In einem breiten Tal zwischen zwei ungewöhnlich hohen Ausläufern des Gebirges stand ein Haus. Na ja, Haus war vielleicht ein bisschen zu viel gesagt, denn es war eher eine Hütte, die aus einem Raum mit grob gehauenen, aber stabilen Wänden bestand. Im Innern lagen auf einem Heuhaufen mehrere Felle, die als Bett dienten, und ein abgesägter Baumstamm fand entweder als Tisch oder als Stuhl Verwendung.
Das einzig Bemerkenswerte an diesem Raum hing an einer Wand in der Nähe der Tür: eine Art Rüstung, die aus dicken Lederstücken und grob gehämmerten Metallplatten bestand, dazu ein langer Speer mit einer gezackten Klinge und ein gerades Schwert mit einer Schneide, die zur Spitze hin breiter wurde. Schwert und Rüstung waren von einer dicken Staubschicht bedeckt, die Folge jahrelanger Vernachlässigung, der Speer dagegen wies Spuren auf, die darauf hindeuteten, dass er vor nicht allzu langer Zeit verwendet
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