Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers
des falschen Beines fernzuhalten. Diese Haltung war zwar nicht sonderlich bequem, aber immer noch besser, als wenn der Wachsoldat mit den Knöcheln gegen etwas stieß, was eigentlich gar nicht hätte da sein dürfen.
Der Soldat trat vor Cerris, gähnte herzhaft, als er sich hinkniete, legte die Fußfessel um etwas, das nicht existierte und dennoch aussah und sich anfühlte wie ein menschlicher Knöchel, und ging dann weiter.
Cerris flüsterte weiter und wirkte schnell einen anderen Bann. Er sah, wie die Fessel in den Staub fiel, für alle anderen war sie jedoch unsichtbar. Stattdessen schien sie sich fest um das nicht existierende Bein zu schließen. Jedenfalls genügte der Zauber, um auch den zweiten Soldaten zu narren, der ohne das geringste Zögern die Kette durch die nicht vorhandene Öse schob.
Cerris unterdrückte mit Mühe ein Lächeln und kniete sich kurz hin, als wollte er sich den wunden Fuß massieren. Dabei schob er sich die reale Fessel schnell über den Arm, um kein Beweisstück zurückzulassen. Er passte seinen schlurfenden Schritt dem der anderen Gefangenen an, die tatsächlich aneinandergekettet waren, und ließ sich davonführen.
Nicht weit von der Straße entfernt stand eine schlichte, notdürftig zusammengezimmerte hölzerne Halle. Sie war von cephiranischen Soldaten errichtet worden und diente den Straßenarbeitern als Unterkunft. Das war weitaus unkomplizierter, als sie jede Nacht in die Stadt zurückzuführen.
Cerris rümpfte die Nase, als er durch die Holztür trat. Der Gestank von Schweiß und Furcht, von Abfall und wässrigem Eintopf traf ihn wie eine Ohrfeige. Der Geruch war schon vor langer Zeit in die hölzernen Wände und die billigen wollenen Decken gedrungen, auf denen die erschöpften
Gefangenen ihre unruhigen Nächte verbrachten. Die Näpfe mit dem Eintopf, der ebenso viele Knorpel wie Fleischstücke enthielt, warteten bereits auf sie. Ein Napf pro Decke. So eklig das Essen auch war, keiner der Männer zögerte, seine Portion so schnell wie möglich herunterzuschlingen.
Unter den Blicken ihrer Kameraden marschierten kurz darauf zwei Soldaten durch die Halle. Der eine sammelte die Näpfe ein, der andere befestigte das Ende der langen Kette an einem Pfosten, der durch den Holzboden hindurchging und tief in die harte Erde hineinragte. Auf diese Weise waren die Gefangenen zwar gesichert, konnten aber im Raum umherschlurfen. Dabei klapperte und klirrte die Kette wie ein Chor von wütenden Geistern, so laut, dass die Geräusche selbst draußen noch zu hören waren. Aber selbst wenn die Männer die Tür hätten öffnen können, wäre die Kette nicht lang genug gewesen, damit sie hätten hindurchgehen können.
Es war eine ausgesprochen simple Vorrichtung, aber außerordentlich wirksam. Vorausgesetzt natürlich, dass die Gefangenen tatsächlich an der Kette befestigt waren.
Cerris legte sich auf seine Decke und harrte aus, obwohl er es kaum erwarten konnte, endlich aufzustehen und sich aus dem Staub zu machen. Nach wenigen Augenblicken ertönten um ihn herum das Schnarchen, das Grunzen und das Stöhnen der erschöpften Schlafenden. Er war fast versucht, ihnen Gesellschaft zu leisten. Die Unterkunft war zwar alles andere als behaglich, aber er war todmüde. Nur mit äußerster Willenskraft konnte er verhindern, dass er einschlief.
Nach etwa anderthalb Stunden war sich Cerris sicher, dass jedermann in der Halle tief und fest schlief. Vorsichtig richtete er sich auf, dann sah er sich prüfend um und stand auf. Er zuckte kurz zusammen, als seine Gelenke rumorten, die nun mal älter wurden, obwohl er sich so eifrig bemühte,
es zu verhindern. Die Fußfessel in der Faust, trat er über die Kette und schlich lautlos zur Tür.
Dabei kam er nicht sonderlich schnell voran, weil der Raum nur durch das gelegentliche Flackern der Lagerfeuer vor der Halle, deren Licht durch die winzigen Schlitze im Holz fiel, und die wenigen, etwa zehn Zentimeter breiten Fensteröffnungen erhellt wurde, die verhindern sollten, dass die Luft in der Halle zu stickig wurde. Cerris stolperte mehr als einmal, und obwohl die Reflexe, die er sich in seinem von Gewalt gekennzeichneten Leben antrainiert hatte, verhinderten, dass er stürzte und Lärm machte, verfluchte er lautlos seine eigene Ungeschicklichkeit.
Du wirst allmählich altersschwach, alter Knabe. Obendrein langsam und ungeschickt. Noch vor wenigen Jahren wärst du nie …
Da war er auch schon an der Tür, und ihm blieb keine Zeit mehr zum Jammern.
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