Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers
könnte etwas haben.«
»Selbstverständlich. Sie hat ihn mitsamt ihren Kindern verlassen, weil er alles verraten hat, was er ihrer Meinung nach hätte sein können, aber sie hat eine Locke von seinem Bart als Andenken aufbewahrt.«
Jassion knurrte etwas Unverständliches.
»Hör zu, das ist der einzige Weg …«
»Nein.«
Der Baron blickte Kaleb an, aber er sah den Hexer nicht. Stattdessen hatte er erneut die schwarze Rüstung vor Augen, die seine Schwester von ihm wegschleppte, erneut sah er, wie die Wachen sich näherten, spürte das warme Blut und die schlaffen Glieder, als sich die Leichen über ihm häuften. Dann sah er vor seinem inneren Auge das pickelige Gesicht seines Neffen, das sich plötzlich vor Furcht verzerrte.
In diesem Moment schwor er sich etwas. Ich werde fast alles tun, um Rebaine aufzuhalten … Aber ich werde nicht zu Rebaine werden, um das zu bewerkstelligen.
Vielleicht las Kaleb diesen Gedanken auf Jassions Gesicht, denn er nickte nur und wandte sich zum Gehen. Er ging in Richtung der Pfosten, an denen sie ihre Pferde festgebunden
hatten. Verblüfft über die unverhoffte Nachgiebigkeit des Magiers, aber nicht willens, das Thema weiter zu verfolgen, eilte Jassion ihm nach.
Mehr als eine Stunde lang ritten sie schweigend dahin, durchquerten erneut Abtheums Stadttor und hielten auf die Landstraße zu. Das Klappern der Hufe schien nicht nur die zurückgelegten Meilen anzuzeigen, sondern auch die Zeit zu messen.
»Und was«, fragte Jassion schließlich, als er das Schweigen nicht länger ertragen konnte, »machen wir jetzt?«
»Wir warten.«
»Mich deucht, dass wir dieses Gespräch schon einmal geführt haben. Worauf genau warten wir diesmal?«
»Auf unsere andere Option.« Kaleb grinste selbstgefällig, weigerte sich jedoch standhaft, sich weiter zu erklären.
Just diese Option holte sie am frühen Abend ein, nur wenige Augenblicke, nachdem sie ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten. Jassion stand an einem Baum im Schatten und überprüfte die Fußfesseln der Pferde, während Kaleb am knisternden Feuer hockte, das er ohne Feuerstein und Zunder entfacht hatte. Er bereitete gerade ein Stück gesalzenes Pökelfleisch zu, das sie auf dem Markt von Abtheum gekauft hatten. Beide blickten gleichzeitig hoch und legten den Kopf schief, als sie das leise Wiehern und die Geräusche eines herannahenden Reittieres hörten.
»Pünktlich auf die Sekunde«, murmelte Kaleb, wischte sich den Staub von den Händen und stand auf. Jassion umfasste unwillkürlich Kralles Griff, als er zu seinem Gefährten trat, aber der Hexer schüttelte den Kopf. »Das wird nicht nötig sein, oh meisterhafter Schwertkämpfer.«
Ein kleiner Zelter bog um die Kurve. Das Pferd war eindeutig ein Lasttier, kein Schlachtross. Die schlanke Gestalt im Sattel trug eine Tunika aus ungefärbter Wolle und eine ebensolche
Strumpfhose. Brust und Gesicht waren von einer Kapuze verborgen, die man als perlmuttfarben hätte bezeichnen können, wenn der Stoff eine bessere Qualität gehabt hätte. Aber »gebrochenes Weiß« beschrieb die Farbe besser.
Pferd und Reiterin blieben stehen und betrachteten die Männer am Feuer. Dann schlugen zwei kleine, schlanke Hände die Kapuze zurück und enthüllten ein schmales Gesicht und dunkles Haar.
»Guten Abend, Mellorin«, sagte Kaleb.
Jassion fluchte einfach nur. Und zwar ausführlich.
Die Tochter von Corvis Rebaine glitt aus dem Sattel, landete leichtfüßig auf dem Boden und kam zu ihnen, als hätte sie jedes Recht dazu, hier zu sein, und würde auch erwartet.
Während sie sich ihnen näherte, flüsterte Jassion Kaleb zu: »Woher habt Ihr das gewusst?«
»Während unseres Gesprächs habe ich einen mir recht bekannten Ausdruck auf ihrem Gesicht bemerkt.«
»Einen bekannten Ausdruck?«
»Einen, den ich von deinem Gesicht kenne. Einen, den du immer dann aufsetzt, wenn du vorhast, dich wegen irgendeiner Sache vollkommen idiotisch und dickköpfig anzustellen. Ich habe diesen Gesichtsausdruck ehrlich gesagt schon ziemlich häufig gesehen.«
»Gentlemen«, begrüßte Mellorin die beiden Männer und blieb ein paar Schritte vor ihnen stehen. Ihre Stimme klang kräftig und zuversichtlich, aber das Flackern ihrer Augen im Licht des Kaminfeuers verriet, dass ihr etwas unbehaglich zumute war.
»Was tust du hier, Mellorin?«, erkundigte sich Jassion. »Ist etwas nicht in Ordnung?« Plötzlich zuckte ein furchtsamer Ausdruck über sein Gesicht. »Ist zu Hause etwas passiert?«
Kaleb seufzte und
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