Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
ich gehe? Ich packe meine Sachen zusammen und bin binnen einer Stunde verschwunden. Bitten Sie nur Mrs Endfield, mir den Rest meines Geldes auszuhändigen.«
»Natürlich nicht. Das ist nicht nötig. Aber ich versichere Ihnen, wenn es sich herausstellt, dass Sie eine Diebin sind …«
»Dann lassen Sie mich von Boggs auspeitschen«, sagte ich. »Ich weiß.«
Er lächelte fast.
»Bitte, akzeptieren Sie jetzt meine Entschuldigung. Ich werde Victoria informieren, dass es keinerlei Hinweise auf irgendwelche kriminellen Aktivitäten gibt, und sie auffordern, ihre Untersuchungen in
eine andere Richtung zu lenken«, meinte er abschließend.
»Das ist schön, aber hier wird jeder jetzt denken, ich sei eine Diebin«, stöhnte ich.
»Ich sagte Ihnen bereits, dass Boggs nicht den Hauch einer Anschuldigung äußern wird.«
»Klar«, sagte ich grinsend. Ich straffte die Schultern und hielt den Kopf wieder hoch. »Ich hätte gerne ein Schloss an meiner Tür. Ich finde, mir sollte wenigstens ein Minimum an Privatsphäre gestattet sein.«
»Ich sorge dafür, dass das erledigt wird«, versicherte er mir. »Sie können sich jetzt auf Ihre üblichen Abendpflichten vorbereiten, und wir sprechen nicht mehr über diese Angelegenheit, solange es keinen guten Grund dafür gibt«, sagte er und drehte sich in seinem Sessel um.
Ich starrte ihn einen Moment an und marschierte dann hinaus. Mr Boggs war nirgends zu sehen, aber ich wusste, dass er nicht weit weg war. Ganz gleich, wo ich in diesem Haus hinging, ich spürte seine Blicke auf mir. Manchmal glaubte ich, seinen Atem im Genick zu spüren.
Als ich in mein Zimmer zurückkehrte, setzte ich mich auf mein Bett und starrte die Wand an.Warum hasste Tante Victoria mich so sehr? War es Eifersucht, Eifersucht auf meine Mutter, Eifersucht auf die Zuneigung, die Großmutter Hudson jetzt für mich hegte? Ich war frustriert. Ich sehnte mich danach, ihr gegenüberzutreten und sie aufzufordern, mir ihre hässlichen Beschuldigungen ins Gesicht zu sagen.
Das alles deprimierte mich so, dass ich beim Abendessen fast zu erwähnen vergaß, dass ich die Rolle der Ophelia bekommen hatte. Während wir den Nachtisch servierten, mit Mandelpaste gefüllte Törtchen, die Mrs Chester Bakewell Tarts nannte, kündigte ich es an, nur damit mein Großonkel sich noch ein wenig schlechter fühlte wegen dem, was er getan hatte.
»Ich dachte, Sie würden gerne erfahren, dass ich für eine Rolle in der nächsten Theaterinszenierung ausgesucht worden bin. Einmal im Monat veranstaltet die Schule einen Abend mit Theater, Gesang, Tanz und Kammermusik. Diese Aufführung findet Samstag in einer Woche statt, und mir wurde die Rolle der Ophelia in Shakespeares Hamlet übertragen.«
»Oh, das hört sich sehr eindrucksvoll an, meine Liebe. Meinen Glückwunsch«, erklärte meine Großtante und klatschte in die Hände. »Findest du das nicht auch beeindruckend, Richard?«, fragte sie ihn. »Vielleicht können wir hingehen.«
»Ja«, meinte er. »Gut gemacht«, fügte er hinzu, sah mich aber nicht an.
»Ich hoffe sehr, dass Sie kommen können«, sagte ich. »Ich werde Ihnen Karten besorgen.«
Er antwortete nicht, aber Großtante Leonora nickte und lächelte breit. Einen Augenblick später stöhnte sie über ihre Altersflecken. Sie hatte auf dem Silberteller ihr Spiegelbild gesehen und ließ sich jetzt aus über die Schwierigkeiten, alt zu werden.
»Die Alternative ist nicht sehr verlockend«, teilte Großonkel Richard ihr mürrisch mit.
Sie wechselte das Thema und sprach über das neue Restaurant, das Lord und Lady Batten entdeckt hatten. Großonkel Richard musste nur seine Missbilligung eines Themas zum Ausdruck bringen, und schon zog sie sich davon zurück. Hatte es zwischen diesen beiden je echte Liebe und Leidenschaft gegeben, fragte ich mich. Oder war all das zusammen mit dem kleinen Mädchen vor vielen Jahren gestorben? Sollte ich sie bemitleiden oder ignorieren?
Am Samstagnachmittag fuhr ich zu Randalls Wohnheim, um meine Rolle mit ihm einzustudieren. Ich hatte die Rolle bereits auswendig gelernt und sie in meinem Zimmer im Endfield Place rezitiert. Unser Plan war es, ein paar Stunden zu arbeiten und dann zum Piccadilly Circus zu gehen.
»Dort gibt es eine große Fußgängerzone. Wir schauen uns alle Geschäfte, Clubs, Theater und das meistbesuchte Museum, das Guinness World of Records, an. Ich zeige dir Her Majesty’s Theatre und das Royal Haymarket Theatre. Wenn du möchtest, können wir uns an einem
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