Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
nicht?«
»Das stimmt. Mr und Mrs Endfield sind mein Großonkel und meine Großtante, aber Großmutter Hudson fand, es sei besser, wenn sie es nicht wüssten. Die Endfields betrachten sich gerne als großherzig, und meine Großtante Leonora lässt sich nicht gerne von meiner Großmutter übertrumpfen, wenn es um karitatives Engagement geht, besonders um ein so spektakuläres wie dieses«, sagte ich. »Sie prahlt all ihren Freundinnen gegenüber, dass sie ein amerikanisches Au-pair-Mädchen hat.«
»Aber wäre es nicht besser für dich, wenn sie es wüssten? Ich meine, vielleicht müsstest du dann nicht als Dienstbote arbeiten«, meinte er, »und du könntest dich die ganze Zeit aufs Studium konzentrieren.«
»Um die Wahrheit zu sagen, Randall, weiß ich nicht, ob das besser wäre. Ich habe das Gefühl, Großmutter Hudson, die sie viel besser kennt als ich, glaubt, sie würden mich nicht bei sich wohnen lassen. Sie würden das Ganze als große Schande betrachten und mich bitten zu gehen. Mich überrascht, dass Tante Victoria ihnen noch nicht die Wahrheit über mich mitgeteilt hat, damit genau das passiert.Vermutlich ist sie hin- und hergerissen zwischen
der Freude darüber, dass ich hier bin, und dem Kummer, dass meine Großmutter mich so gern hat und so viel für mich tut.«
»Wenn sie dich vorher nicht kennen gelernt hat und gar nicht wusste, dass du existierst, warum hasst sie dich dann? Liegt das einfach daran, dass sie Vorurteile hat, oder …«
»Ich weiß nicht, ob es an mir liegt oder ob sie einfach ihre Schwester, meine Mutter, hasst und deshalb auch alles und jeden, der mit ihr verbunden ist. Mit einer Ausnahme«, dachte ich laut nach. »Ich habe das Gefühl, dass sie den Mann meiner Mutter mag. Es ist sehr kompliziert«, sagte ich und griff nach meiner Kleidung. »Ich kriege Kopfschmerzen, wenn ich nur darüber nachdenke.«
Randall war weiter tief in Gedanken versunken, aber plötzlich strahlte er, als ihm eine Idee kam. Ich konnte praktisch sehen, wie ihm ein Licht aufging.
»Du sagtest, deine Mutter hätte dir erzählt, dein leiblicher Vater sei nach London gekommen, um zu schreiben und zu unterrichten, stimmt’s?«
»Ja.« Ich machte meinen BH zu und schlüpfte in mein Unterhöschen. Randall blieb, wo er war, dachte immer noch nach, hatte immer noch die Hände hinter dem Kopf verschränkt, den Blick auf die Decke gerichtet.
»Und deine Mutter berichtete dir, er sei ein Shakespeare-Fan und wollte Shakespeare-Forscher und -lehrer werden? Hast du das nicht gesagt?«
»Das erzählte sie mir, aber ich weiß nicht, ob ich
alles glauben soll, was sie sagt«, meinte ich und zog mich fertig an.
Randall senkte seinen Blick auf mich, sein Gesichtsausdruck war jetzt noch lebhafter und aufgeregter.
»Warum versuchen wir nicht, ihn zu finden?«
»Was? Wen zu finden?«
»DeinenVater. Du sagtest, du weißt seinen Namen, Larry Ward. Es sollte doch möglich sein, ihn aufzuspüren. Wir können mit dem Telefonbuch von Greater London anfangen und jeden Larry Ward anrufen, der dort verzeichnet ist«, schlug er vor.
Ich schüttelte den Kopf. Die bloße Vorstellung trieb mir Eiszapfen ins Herz.
»Und was willst du dann tun? Jeden von ihnen fragen, ob er der Mann ist, der eine Affäre mit Megan Hudson hatte, damals auf dem College?«
»Vielleicht hatte er Erfolg und ist Englischlehrer geworden, ein Shakespeare-Forscher, wie er es vorhatte? Daran könnte man ihn doch festmachen, oder? Wie viele Schwarze sind wohl aus Amerika hergekommen, um Shakespeare zu studieren, Rain? Es wird nicht so schwierig sein, ihn zu finden, wenn er noch hier ist, heißt das.Was meinst du?«
Ich schüttelte noch nachdrücklicher den Kopf.
»Ich glaube nicht.«
»Warum nicht? Willst du ihn nicht kennen lernen? Willst du nicht, dass er dich kennen lernt? Ich würde das schon, wenn es um mich ginge.«
»Was soll ich ihm sagen, wenn wir ihn finden,
Randall? Hi, ich bin deine Tochter, die Tochter, die du nie sehen wolltest, aus der du dir nie etwas gemacht hast? Nein, vielen Dank. Ich brauche nicht noch eine so verheerende Szene. Ich bin einmal zurückgewiesen worden, und zwar ziemlich entschieden, bei meiner Geburt. Ich könnte das nicht noch einmal ertragen, besonders nicht von Angesicht zu Angesicht«, sagte ich.
»Vielleicht wäre es ja gar nicht so. Nun komm schon, Rain, erzähl mir nicht, dass du nicht das kleinste bisschen neugierig auf ihn bist.«
»Das habe ich nicht gesagt, aber …«
»Was kann es denn schon schaden, ihn
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