Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
jeden Aspekt der Dinnervorbereitung inspizierte und so weit ging, praktisch die Abstände zwischen den Besteckteilen auszumessen.
»Wenn du das Essen hinausbringst, berühr es ja nicht mit den Fingern. Ich will es nicht erleben, dass du sie bedienst und die Hände auf ihrem Fisch hast«, warnte er mich.
»Wenn Sie sich darüber solche Sorgen machen, warum servieren Sie dann nicht selbst das Abendessen?«, fauchte ich zurück.
Mrs Chester war über meine Bemerkung und meinen Ton so überrascht, dass sie keuchte, sich mit der Hand an die Kehle griff und die Luft anhielt, als erwartete sie, dass Boggs wie eine Dynamitstange in die Luft ging.
»Tu einfach deine Arbeit«, murrte er mit zorngerötetem Gesicht.
»Ich versuche es«, murmelte ich, »und ich werde es auch, wenn Sie mich in Ruhe lassen.«
Er schnappte nach Luft, zog die Schultern hoch, biss sich auf die Unterlippe und verließ die Küche.
»Ach, Schätzchen, jetzt hast du es schon wieder getan. Dieser Mann hat einen Groll auf dich.«
»Ich auch auf ihn«, erwiderte ich, hatte aber dennoch Angst. Ich hatte Alpträume, dass er in mein Zimmer kam und mich mit einem Kissen erstickte.
Als alle im Speisezimmer waren und ich eintrat, stellte meine Großtante Leonora mich ihren Gästen, den Dorsets, vor. Mr Dorset war ein Bankier, ein
Mann Mitte sechzig mit schütter werdendem grauem Haar. Seine Wangen waren feist und leicht gerötet. Ihre Farbe vertiefte sich mit zunehmendem Weinkonsum. Seine Frau wirkte zerbrechlich, hatte ein winziges vogelartiges Gesicht und kurzes, schlecht gefärbtes braunes Haar in einem Rostton mit Spuren von Grau an den Haarwurzeln und sogar an einigen Strähnen.
»Das ist unser Au-pair-Mädchen aus Amerika, das eines Tages eine berühmte Schauspielerin wird«, sagte Großtante Leonora. »Sie heißt Rain.«
»Rain?«, fragte Mr Dorset nach. »Woher haben Sie denn den Namen?«, fragte er mich mit einem breiten Grinsen.
»Meine Mutter gab ihn mir, als ich geboren wurde«, erwiderte ich.
Einen Augenblick lang sprach niemand.
Mrs Dorset sah aus, als hätte sie eine Maulsperre. Man sah, wie sich ihre kleine rosa Zunge aufrollte. Dann nickte Mr Dorset und sagte: »Was Sie nicht sagen.«
Am Tisch war es so still wie in einem Bestattungsinstitut. Dadurch klangen die Geräusche von Geschirr und Besteck so laut. Großonkel Richard beobachtete, wie ich fertig servierte. Ich spürte seinen Blick so eindringlich, dass ich es nicht abwarten konnte, in die Küche zurückzukehren.
Boggs stand dort. Ich rannte fast in ihn hinein. Er schien vor mir zu wachsen, seine Blicke drangen wie zwei kleine Drillbohrer in meine Stirn ein.
»Deine Unverschämtheiten werden dafür sorgen, dass du auf der Straße landest«, drohte er.
Dann drehte er sich um und verließ die Küche.
Mrs Chester warf mir einen Blick zu und schaute dann weg, weil sie Angst hatte, in die drohende Katastrophe hineingezogen zu werden. Ich beendete meine Arbeit ohne weiteren Kommentar. Niemand sprach mich im Speisezimmer an, und ich mied Großonkel Richards Blick, indem ich nicht einmal in seine Richtung schaute. Sobald sich alle erhoben und das Speisezimmer verlassen hatten, um in den Salon zu gehen, begann ich den Tisch abzuräumen. Da Mary Margaret nicht da war, musste ich helfen, Geschirr, Töpfe und Pfannen zu spülen und alles wegzuräumen.
»Anscheinend haben sie Ihr Essen genossen, Mrs Chester«, sagte ich, weil mir aufgefallen war, wie sie die Teller leer gekratzt hatten.
Sie nickte.
»Ist Mary Margaret morgen wieder da?«, fragte ich.
»Ich hoffe es«, sagte sie. Ständig schaute sie voller Angst zur Tür.
»Vermutlich bekämen Sie überall, wo Sie wollten, einen Job«, sagte ich. »Bei Ihren Talenten in der Küche würde eine andere Familie sich sehr glücklich schätzen.«
Sie schüttelte den Kopf und drehte sich mir zu.
»Ohne Empfehlung würde ich in irgend’nem Loch für den halben Lohn arbeiten. Ich tu meine Arbeit.
Ich weiß, wo ich hingehöre, und komme zurecht«, sagte sie. »Das solltest du dir einmal überlegen.«
»Vielleicht. Das Problem ist nur, Mrs Chester, dass ich nicht weiß, wo ich hingehöre.«
Sie sah mich sehr neugierig an, fast als zeigte sie Mitgefühl, dann vertiefte sie sich wieder in ihre Arbeit und sagte kein Wort.
Als ich die letzten Besteckteile wegräumte, kam Boggs in die Küche.
»Mr Endfield möchte mit dir reden«, sagte er. »In seinem Arbeitszimmer. Jetzt.«
»Ich werde zum Direktor geschickt«, sagte ich zu Mrs
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