Die Hudson Saga 03 - Dunkle Träume
sie losbrüllen würde, aber plötzlich lachte sie lauthals. Wir hörten, dass auch Roy lachte, und als ich aus der Tür schaute, sah ich, dass sie ihn umarmte und ihm mit der Hand durchs Haar fuhr.Als er sah, dass wir ihn anschauten, fuhr er verlegen zurück.
»Ach, Mama«, stöhnte er und rannte in sein Zimmer.
»Was guckst du da, Schätzchen?«, fragte Mama mich.
»Nichts, Mama. Ist mit Roy alles in Ordnung?«
»Ihm geht es gut. Er muss nur lernen, sich ein bisschen mehr wie ein Gentleman zu benehmen.
Aber ich habe Angst, dass er es hier nicht lernt«, murmelte sie.
»Warum nicht, Mama?«
»Das ist nicht gerade ein Ort für Ladys und Gentlemen«, sagte sie. Dann lächelte sie mich an. »Aber mach dir darüber keine Sorgen, Rain. Du gehst sowieso eines Tage irgendwo anders hin, an einen besonderen Ort, wo es sehr schön ist. Da bin ich mir sicher.«
»Wohin, Mama?«, fragte ich, die Augen vor Erwartung weit aufgerissen. Welche Geheimnisse meiner Zukunft kannte Mama?
»Im Augenblick weiß ich es nicht genau«, sagte sie, »aber ich weiß, es wird ein wunderschöner Ort sein, wo die Leute elegant gekleidet sind, in großen Häusern leben und schöne Sachen haben wie Klaviere und Gärten und tolle Autos.«
»Beneatha geht da auch hin, nicht wahr, Mama?«, fragte ich sie und drehte mich zu meiner Schwester um, die auf dem Boden neben dem Puppenhaus hockte. Sie hörte nicht richtig zu.
»Ich hoffe es«, sagte Mama. »Ich hoffe, ihr geht da alle hin.«
»Was ist mit dir, Mama?«
»Ich werde auch da sein«, versprach sie. »Lass mir die Tür offen.«
»Was bedeutet das, Mama? Lass die Tür offen?«
Sie lachte.
»Ich mache nur Spaß, Kind. Komm her«, sagte sie und streckte die Arme aus, damit ich hineinlaufen
konnte. Sie drückte mich fest an sich, küsste mich auf die Stirn und streichelte mir das Haar.
»Du bist die Kühle nach der sengend heißen Sonne, Rain. Du bist die Hoffnung.«
Sie ließ mich los und machte sich an die Vorbereitung unseres Abendessens. Als ich in Roys Zimmer schaute, sah ich, wie er mich anstarrte, sein Gesicht zu einem sanften Lächeln verzogen.
Warum war ich so etwas Besonderes, fragte ich mich. Bei mir zu Hause fühlte ich mich wie ein Star. Mama und Roy ließen mich glauben, ich könnte glänzen, wo ich ging und stand. Sie ließen mich glauben, ich sei gesegnet und beschützt.
Kein Wunder, dass der kleinste Schnitt, der winzigste blaue Fleck, das unwesentlichste Wehwehchen so schockierend wirkten. Allmählich, mit jedem vorübergehenden Tag musste ich mich von meiner Fantasiewelt trennen. Jemand öffnete die Tür und ließ mich die Welt sehen, wie sie um uns herum war, und ich wusste, dass selbst Mama und Roy den Schmerz nicht von mir fern halten konnten. Aber sie versuchten es, ach wie sehr versuchten sie es.
Als ich mich an all das erinnerte, wusste ich, dass ich mit einem ruhigen, glücklichen Lächeln auf dem Gesicht dort lag, obwohl ich vor Fieber glühte. Die Kopfschmerzen klangen ab. Ich bekam ein wenig besser Luft und schlief weiter durch meine glücklicheren Erinnerungen, die ich um mich gehüllt hatte wie einen Kokon, in dem ich mich sicher
einkuscheln konnte, bis der Sonnenschein mich wieder weckte.
Nicht lange danach hörte ich, wie Tante Victoria die Treppe heraufkam, und wartete in der Hoffnung, dass sie wieder zu Vernunft gekommen war und erkannte, dass ich sterben könnte, wenn sie nicht bald etwas für mich tat, und dass man ihr die Schuld daran geben würde. Bekleidet mit einer Bluse und einem ihrer vertrauten knöchellangen Röcke, trat sie mit einem Tablett durch die Tür.
»Bitte schön«, sagte sie, »dein Tee und Toast. Das ist alles, was du im Augenblick bekommen darfst.«
Sie stellte das Tablett auf den Nachttisch neben dem Bett und trat zurück.
»Wir essen einen wundervollen Honigschinken und diese kleinen Kartöffelchen, die du so liebst. Bestimmt kannst du sie riechen, nicht? Dreht sich dir davon der Magen um?«
»Man wird dir die Schuld geben«, flüsterte ich.
»Wie bitte? Willst du etwas sagen, Megan?«
Ich schloss die Augen und versuchte zu sprechen. Sie kam näher.
»Was war das? Es tut dir Leid, wie du mich in der Schule behandelt hast? Es ist zu spät für Entschuldigungen. Geschehen ist geschehen – und keineswegs vergeben und vergessen. Es wird immer hier sein«, sagte sie und deutete auf ihre Schläfe.
»Man wird dir die Schuld geben«, sagte ich lauter. Zumindest ein Wort hörte sie.
»Schuld?« Sie lachte. »Mir? Woran
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