Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
rühren.
Warum? Warum tat er so, als wäre er sein Sohn? Warum erzählte er Harley nicht die Wahrheit über seinen Vater?
Ich glaubte, Suze von ihrem Saubermachen oben herunterkommen zu hören, legte alles rasch zurück und stieg schnell die Treppe hoch. Leise schloss ich die Tür hinter mir, als sie gerade um die Ecke in den Flur bog. Sie schaute mich einen Moment an, die Augen misstrauisch zusammengekniffen.Vielleicht verfügte sie tatsächlich über mystische Kräfte und wusste, was mich beschäftigte und was ich getan hatte. Ich wich ihr aus und ging ins Wohnzimmer.
Ich zitterte am ganzen Körper. Ich wurde hin- und hergerissen zwischen dem Drang, einfach hinauszugehen und wegzulaufen, und dem Wunsch, auf Harley zu warten. Hier sollte uns eigentlich keine Gefahr drohen. Schließlich war der Mann sein Großvater.Vielleicht gab es ja eine vernünftige Erklärung. Vielleicht schämte er sich seines Sohnes und wollte nicht, dass Harley etwas über seinen Vater erfuhr. Sollte ich diejenige sein, die es ihm erzählte?
Kurze Zeit später kam Suze an die Tür und unterbrach meine Gedanken.
»Ich gehe zu Geschäft«, sagte sie. »Ich haben etwas Käse, Kräckers, Brot und Obst in Küche gestellt. Du wollen Lunch, du essen.«
»Danke. Merci«, sagte ich schnell. Ich nickte und verließ das Haus.
Ich hatte ein wenig Hunger, deshalb ging ich in die
Küche und machte mir einen Teller zurecht. Obwohl ich noch Schmerzen hatte, beschloss ich, keine Tabletten mehr zu nehmen. Ich wollte nicht schläfrig sein. Besonders jetzt nicht. Als ich dort saß und an etwas Käse und Kräckern knabberte, starrte ich auf die Tür des so genannten heiligen Zimmers.Wusste Harley auch von diesem Raum? Hatte Suze ihm heute Morgen davon erzählt, bevor er zur Arbeit fuhr?
Meine Neugierde wegen des Kruges wuchs. Was konnte darin sein? War ihr Sohn eingeäschert worden? Waren seine Überreste in dem Krug? Knochen? Ich stand auf, ging zur Tür und öffnete sie langsam, um hineinzuspähen. Die Kerzen brannten alle noch. Der Schädel leuchtete in dem weichen Licht, und die flackernden Flammen ließen die Augenhöhlen aussehen, als hätten die Augen mir zugezwinkert. Im Haus war es still bis auf das Geräusch des jetzt leichten Regens.
Mutig oder närrisch ging ich weiter in das Zimmer und näherte mich dem Krug. Gerade als ich nach dem Deckel griff, schlug die Tür des heiligen Zimmers zu. Mein Herz begann heftig zu klopfen. War es der Wind, der durch die Ritzen und unter den Fenstern her drang, der sie zugeschlagen hatte? Oder war es ein Geist der Toten? Jeder würde in diesem Raum einen Schrecken eingejagt bekommen, dachte ich und warf einen Blick auf die Schlangenhäute.
Der Schädel schaute anscheinend erwartungsvoll zu mir hoch. Meine Hand erstarrte wenige Zentimeter vor dem Deckel des Kruges. Ich sah, wie meine Finger zitterten.
Dann hörte ich rechts etwas quieken.Als ich hinschaute, sah ich eine fette Ratte, die sich die Wand entlang stahl. Sie blieb stehen und schaute mit zuckender Nase zu mir hoch. Ich konnte weder atmen noch schlucken. Als ich die Krücke hob, huschte sie unter den Tisch und verschwand in der Ecke.
Von diesem Anblick wurde mir schlecht, und ich beschloss einfach zu vergessen, was in diesem Zimmer und im Krug war. Was für einen Unterschied machte das jetzt schon? Wir mussten auf jeden Fall abreisen, und zwar so bald wie möglich. Die Tür ließ sich zuerst nicht öffnen, aber sie war nur verklemmt. Ein wenig Rappeln an der Klinke öffnete sie. Ich schloss sie schnell wieder hinter mir und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
Mein Knöchel pochte so heftig, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Vielleicht musste ich eine Tablette nehmen.Verzweifelt unterdrückte ich dieses Bedürfnis. Ich versuchte mich auf glückliche Dinge zu konzentrieren und schob den Gedanken beiseite. Glücklicherweise schlief ich schließlich ein und wachte erst auf, als ich Gelächter und Lärm hörte, die Augen öffnete und Harley und den Mann ins Haus kommen sah, von dem ich jetzt wusste, dass es sein Großvater war. Beide blieben in der Tür stehen, um zu mir hineinzuschauen.
»Hi«, sagte Harley. »Wie geht es dir?«
Ich versuchte zu lächeln und setzte mich auf.
»Du hast große Schmerzen, hm?«
»Solche Sachen schmerzen am zweiten Tag noch stärker«, sagte sein Großvater. »Hat Suze dir heute noch
etwas gegeben? Sie kuriert all meine Schmerzen und Wehwehchen.«
»Nein«, erwiderte ich rasch.
»Wo ist sie?«, fragte er und
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