Die Hüter der Schatten
hätte.«
Diesmal mußte Leslie kichern. »Wie charmant.«
»Sie sind im Buchladen aufgewachsen. Claire hat Monsignore als streunendes Kätzchen halbverhungert auf der Straße vor dem Laden gefunden. Jemand hatte ihn getreten, deswegen hinkt er noch heute auf einem Bein. Poltergeist ist eine von Claires weißen Katzen. Ich befürworte es sehr, Haustiere zu sterilisieren. Mir ist das sentimentale Getue von Menschen zuwider, die zu zartbesaitet sind, um ein Tier sterilisieren oder kastrieren zu lassen, sich aber nichts dabei denken, daß jedes Jahr Tausende von Kätzchen und Welpen auf der Straße oder in Tierheimen sterben. Aber Claire gibt sich immer große Mühe, ein neues Heim für ihre vielen Katzen zu finden. Alison hatte …« Colin unterbrach sich mitten im Satz, und seine Miene verschloß sich. »Sie sind sicher nicht hergekommen, um zuzuhören, wie ich über unsere Haustiere schwatze. Was kann ich für Sie tun, Leslie?«
»Einige Leute reden über Alisons weiße Katze, Colin, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Nun, ich glaube, wir haben auch eine weiße Katze im Haus, obwohl ich mir da nicht ganz sicher bin, so verrückt es sich anhört.« Leslie erzählte dem alten Mann von der weißen Katze, die ihnen immer wieder entschlüpfte, und daß Emily das Tier sterbend und in seinem Blut liegend in der Garage erblickt hatte. »Einmal habe ich es selbst gesehen«, fügte Leslie hinzu.
Colin blickte auf den Ladentisch hinunter. »Am liebsten würde ich nichts dazu sagen, weil ich nicht dabei war, aber … na ja, das war einer der Gründe, warum Alison sich mit Simon zerstritten hat. Claire hat Ihnen erzählt, daß Simon sich mit Schwarzer Magie beschäftigt hat, oder?«
»Allerdings, und ich habe nicht die leiseste Ahnung, was sie damit gemeint hat.«
»Seien Sie froh, daß Sie nichts darüber wissen«, meinte Colin. »Jedenfalls habe ich von Alison gehört, daß Simon eine ihrer weißen Katzen getötet hat. Wahrscheinlich hat er sie bei einem Ritual geopfert. Nun, ich wußte, daß Simon so etwas nicht zum erstenmal getan hatte. Er hat sich schon als Jugendlicher mit Tieropfern beschäftigt.«
Kopfschüttelnd starrte Leslie ihn an. »Das glaube ich Ihnen nicht. Simon? Niemals. Was sollte er sich von so einem Humbug versprechen?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Colin. »Ich will auch nicht behaupten, Simons Beweggründe zu verstehen. Als er ein Junge war, mag bloß intellektuelle Neugierde dahinter gesteckt haben. Simon besitzt entschieden zuviel davon. Diese Neigung führt Menschen, die erst vor kurzem Bekanntschaft mit dem Okkulten geschlossen haben, häufig auf den unrechten Pfad.«
Dies war genau die verschwommene Ausdrucksweise, die Leslie nicht ausstehen konnte und zu der Colin trotz seiner freundlichen Art und seiner zurückhaltenden Intelligenz zu sehr neigte.
»Was intellektuelle Neugierde angeht«, erwiderte Leslie, »so kann ich mir keinen besseren Beweggrund denken, parapsychologische Phänomene zu untersuchen. Oder sind Ihnen die Leute lieber, die in der Soziologie als ›wahre Gläubige‹ bezeichnet werden und den größten Unsinn akzeptieren, ohne auch nur zu versuchen, die Dinge zu hinterfragen?«
»Gott bewahre! Zugegeben, die Skeptiker, die alles ablehnen, ohne es zu untersuchen, sind mir zuwider. Aber noch mehr hasse ich die ›wahren Gläubigen‹, die alles akzeptieren, ohne es genauer zu betrachten. Emily hat Ihnen sicher erzählt, daß ich einen Schwindel dieser Art bei einer Seance aufgedeckt habe. Aber es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen intellektueller Ehrlichkeit, die unabdingbar ist, wenn das Gebiet der paranormalen Forschung nicht zum Tummelplatz von Wirrköpfen herunterkommen soll, und intellektueller Neugierde. Diese Einstellung ist das gefährlichste Motiv von allen. In der Vergangenheit hat man sich ihrer bedient, um alles mögliche zu rechtfertigen: von der Vivisektion und Watsons Verhaltensforschung und seinen Versuchen, nicht nur Ratten, sondern auch Kinder zu konditionieren, über die Entwicklung biologischer Waffen bis hin zur Gentechnologie.«
Für Colins Argumente sprach natürlich einiges. Vom Behaviorismus Skinnerscher Prägung hielt Leslie noch weniger als von Freuds psychoanalytischem Jargon. Doch sie mochte sich noch nicht geschlagen geben.
»Es ist nur der Wunsch nach Wissen, nach Erkenntnis um ihrer selbst willen, die einen Wissenschaftler motivieren, Grundlagenforschung zu betreiben. Meinen Sie nicht auch?«
Colin stützte das Kinn
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