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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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reichte, blätterte in einem Buch über Kräuter. In einem Tragegestell auf ihrem Rücken saß ein helläugiges, blondes Kleinkind und knabberte an einer rohen Möhre.
    »Taugt das Buch etwas?« fragte Leslie die Frau. »Ich suche ein Kräuterbuch für meine Schwester.« Offensichtlich mochte Emily den Kräutergarten; vielleicht konnte sie ihre Schwester dazu bringen, den Garten auch zu pflegen.
    Die junge Mutter nickte. »Ja. Es ist sehr gut. Ich kenne die Frau, die es geschrieben hat. Sie kommt manchmal hierher. Als ich anfing, Timmie zu stillen, hat sie mir einen prima Milchbildungstee gegeben. Nein, Timmie«, tadelte sie, als das Baby sie an den Haaren zog. »Sei ein braves Mädchen und iß deine Möhre! Wohnen Sie in der Gegend?«
    »Ich habe ein Haus in der Nähe gekauft. Ein paar Straßen weiter oben.« Leslie nahm ein Exemplar des Kräuterbuchs von einem Stapel auf einem Ausstellungstisch. »Als ich kürzlich hier war, stand eine Frau an der Kasse … groß, blaue Augen … so um die fünfzig …«
    »Das ist Claire Moffat«, bestätigte das Mädchen. »Sie kommt nur montags und freitags in den Laden.«
    »Ich wollte sie etwas wegen eines Buches fragen …«
    »Frodo kann Ihnen bestimmt weiterhelfen«, meinte die Frau und wies auf den jungen Mann, der hinter der Theke stand. Er war groß und mager und trug einen buntbestickten grünen Kittel oder Kasack. Durch ein Ohrläppchen hatte er einen goldenen Ring gezogen. Sein Haar war so lang wie das der jungen Frau, wurde jedoch von einem perlenbesetzten Stirnband zurückgehalten. ›Frodo‹, also wirklich. Leslie überlegte, auf welchen Namen seine Eltern ihn wohl getauft hatten. Wahrscheinlich ›Melvin‹ oder noch Schlimmeres.
    Mit einem Mal überkam Leslie das Gefühl, ein Schleier sei vor ihren Augen fortgezogen worden, und sie nahm den jungen Mann so wahr, wie das Mädchen ihn sah: Ein elfenhaftes Wesen, das nicht in einen geschlossenen Raum zu passen schien, eine Kreatur der Wildnis. Dann verblaßte das Bild, und Frodo war bloß wieder ein auffällig kostümierter Jugendlicher. Er winkte der jungen Frau zu.
    »Hi, Rainbow! Wie geht’s Timmie? Hab’ gehört, sie war krank.«
    »Bloß Bauchweh. Vielleicht eine Tofu-Allergie. Der Arzt hat mir geraten, ihr ein, zwei Tage keine feste Nahrung zu geben, nur Apfelsaft und dünnen Tee. Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Sie liebt Kamillentee. Sie kann schon aus der Tasse trinken, aber abends gebe ich ihr noch eine Teeflasche, und die gluckert sie nur so runter.«
    Das würde Emily gefallen, dachte Leslie.
    »Kommst du zum Beltane-Picknick?« fragte Frodo die junge Frau. »Ich baue dort meinen Stand auf und lege Tarot-Karten. He, rate mal, wer kürzlich aus der Versenkung aufgetaucht ist.«
    »Keine Ahnung.«
    »Simon Anstey. Er war am Montag hier.«
    »Simon?« Das ausdrucksvolle Gesicht des Mädchens verzog sich mißfällig. »Was treibt der denn in der Stadt?«
    »Ich glaube, er hatte wieder eine Operation. Jedenfalls trug er ‘nen Verband um die Hand. Oder er unterrichtet irgendwo.«
    Rainbow zog die Augen zusammen – oder lag es nur daran, daß Timmie sie schon wieder an den Haaren zog? »Colin war bestimmt außer sich«, flüsterte sie.
    »Zum Glück war er nicht da. Ich glaube, sonst hätte er Simon einen Stuhl über den Schädel geschlagen oder so.«
    »Ich habe noch nie erlebt, daß Colin die Beherrschung verliert, Frodo.«
    »Ich schon. Als Simon mit seiner alten Leier anfing, die Unterscheidung in Schwarze und Weiße Magie sei engstirnig, moralinsauer und rassistisch.«
    »Ich hab’ davon gehört. Colin sagte, er wolle nichts mit Schwarzer Magie zu tun haben, ganz gleich unter welchem Namen. Ich muß zugeben, daß ich seiner Meinung bin.«
    »Wer wäre das nicht?« erklärte Frodo und beantwortete gleich seine eigene Frage. »Anstey wahrscheinlich. Du weißt ja, wie er daherredet. Diesmal, am Montag mein’ ich, hat er über Colin hergezogen und ihn einen frömmlerischen alten Versager genannt …«
    »Damit ist er bei Claire bestimmt nicht gut angekommen. Sie war doch hier, oder?«
    »Allerdings.« Frodo verzog das Gesicht und grinste. »Sie sagte: ›Simon, du bist ein gottverdammter Dummkopf, mit Betonung auf gottverdammt.‹ Dann hat sie ihm den Rücken zugedreht.«
    Frodo war ein ausgezeichneter Imitator. Leslie sah diese Claire geradezu vor sich, hörte ihre Stimme. Ja, das war die Frau, die ihr das Fodor-Buch verkauft und die treffende Bemerkung über »psychoanalytisches Gewäsch« von sich

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