Die Hueterin der Krone
bezweifle, dass er viele Männer bei sich hat. Einem Kind so ein Unternehmen zu übertragen wäre Wahnsinn, und egal was man von Geoffrey of Anjou halten mag – wahnsinnig ist er nicht.« Er winkte ab. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Scharen erfahrener Krieger dem Banner eines halbwüchsigen Jungen folgen – und auch nicht dem seiner Mutter. Am Ende wird das Unterfangen an der Sachlage nichts ändern, sondern nur zu mehr Zerstörung führen.«
»Es macht einen Unterschied, denn er ist hier«, widersprach Adeliza unter Aufbietung all ihrer Kraft. »Er ist erst vierzehn, wie du richtig bemerktest, aber Stephen ist vierzig Jahre älter. Erfahrung mag im Moment noch mehr zählen als Jungsein, aber letztendlich wird die Jugend triumphieren. Wer befin det sich also im Vorteil?« Die Männer sahen sie sichtlich verwirrt an. »Ihr stimmt mir vielleicht nicht zu«, fuhr sie fort und schloss die Augen, »aber ihr solltet darüber nachdenken.«
Matilda beobachtete ihren Bruder, der in der Kammer in der Burg von Devizes auf und ab ging. Seine schweren Schritte und die tiefen Furchen zwischen seinen Brauen verrieten seinen Unmut.
»Henry ist ein junger Narr«, knurrte er. »Dieses hirnrissige Unterfangen ist zum Scheitern verurteilt.«
»Möglich, aber er hat Mut und Entschlusskraft bewiesen«, verteidigte Matilda ihren Sohn. Sie hatten erfahren, dass Henrys »Flotte« in Wareham angelegt hatte. Von dort aus war er landeinwärts marschiert und hatte versucht, eine Burg bei Purton anzugreifen. Die Garnison hatte den Angriff jedoch abgewehrt. Sie war besorgt und ärgerlich, aber im Gegensatz zu Robert amüsierte sie die Eskapade ihres ältesten Sohnes auch und erfüllte sie mit Stolz. Er verfügte über Energie und Wagemut.
»Er ist eine Gefahr für sich und andere. Was wird aus unseren Zukunftsplänen, wenn er scheitert? Was wird die Gegenseite denken, wenn sie von seinen tölpelhaften Versuchen erfährt, Krieg zu führen?«, schnaubte Robert. »Sie wird sich ins Fäustchen lachen!«
»Oder ihm Interesse entgegenbringen. Robert, er entstammt einem Geschlecht von Löwen. Erwarte nicht von ihm, dass er sich wie eine Maus verhält.«
»Das tue ich ja auch nicht.« Er warf ihr einen zornigen Blick zu. »Ich habe mich schließlich um seine Ausbildung und sein Kampftraining gekümmert, als er das letzte Mal hier war. Ich kenne seine Fähigkeiten, aber ich weiß auch, dass er rennen will, bevor er laufen kann. Wir können ihm solche Eigenmächtigkeiten nicht durchgehen lassen!«
»Seine Eigenmächtigkeit beunruhigt mich genauso wie dich«, gab Matilda zurück. »Aber es ist keine Katastrophe, und du solltest dich nicht so verhalten, als wäre es eine.« Sie musterte ihn stirnrunzelnd. Sein zweiter Sohn Philip hatte ihn vor kurzem schwer enttäuscht. Der junge Mann war gezwungen gewesen, den strategisch wichtigen Bergfried von Farndon aufzugeben, dessen Burgvogt er war, was zu einer Kluft zwischen Vater und Sohn geführt hatte. Nach einem heftigen Streit war Philip zu Stephen übergelaufen, nur um auch dort alles hinzuwerfen und sich auf einen Kreuzzug zu begeben. Robert hatte sich über seinen Sohn sehr aufgeregt, worunter seine Gesundheit und seine Laune nun litten.
»Glaubst du, sein Vater hat die Hand im Spiel?«
Matilda schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Geoffrey würde Henry nie erlauben, sich auf ein so tollkühnes Unternehmen einzulassen.« Ihr Magen zog sich zusammen, als sie daran dachte, dass sich Geoffrey in Henrys Alter auf die Verlobung mit ihr vorbereitet hatte. Wo hörte das Kind auf und begann der Mann?
»Er muss in seine Schranken gewiesen werden und lernen, dass wir solchen Leichtsinn nicht dulden. Er kann nicht in England bleiben. Wir haben noch nicht einmal genug Mittel, um uns selbst durchzubringen, geschweige denn, um für seinen Schutz zu sorgen und ihm einen eigenen Haushalt zur Verfügung zu stellen.« Roberts Stimme wurde lauter. »Wer bezahlt eigentlich die Soldaten, die er mitgebracht hat, wenn Geoffrey keine Ahnung von seinem Abenteuer hat?«
»Henry wird nach Devizes kommen«, erwiderte sie. »Dann stellen wir ihn zur Rede.«
Am nächsten Morgen saß sie in ihrer Kammer am Fenster und las einige Briefe. Bislang hatten sie von keinen weiteren fragwürdigen Heldentaten Henrys gehört. Ein Brief stammte von Adeliza; sie schrieb, dass sie einen weiteren Sohn geboren und ihn im Angedenken an einen ruhmreichen König und zu Ehren eines künftigen Königs, der zweifellos in die Fußstapfen
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