Die Hueterin der Krone
niemand hat es getan.«
»Ihr klingt, als würdet Ihr davon ausgehen, dass manche Männer bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wortbrüchig werden.«
Brian verzog das Gesicht.
»Unter uns befinden sich zahlreiche Opportunisten – und wir beide wissen, wer, ohne Namen nennen zu müssen.«
»Ja.« Sie kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Eines Tages muss ich mein Gefolge unter den Männern auswählen, die sich heute hier eingefunden haben. Aber so weit weg in Anjou kann ich ihre Stärken und Schwächen nur schwer einschätzen.«
»Euer Mann hat doch sicher nichts gegen Korrespondenz einzuwenden, damit Ihr auf dem Laufenden seid, denn es liegt ja auch in seinem Interesse. Euer Vater, die Königin und der Earl of Gloucester werden Euch oft schreiben. Und ich auch.«
Sie winkte ungeduldig ab.
»Es ist immer besser, sich ein eigenes Urteil zu bilden, als das geschriebene Wort anderer zu lesen. Meine Stiefmutter spielt ihre Rolle zum Beispiel so gut, dass sie ihr zur zweiten Haut geworden ist. Sie ist die Freundlichkeit in Person und bemüht sich um meinen Vater, aber wie viel ist davon nur eine Fassade, die sie sich aufbauen musste? Wie viel wird mein Vater mir um seiner eigenen Interessen willen verheimlichen? Ich möchte die ungeschminkte Wahrheit wissen!«
»Ihr müsst nicht auf jede Schwierigkeit losgehen, als müsse sie niedergeknüppelt werden. Eis schmilzt in der Sonne und nicht, wenn es frostig und dunkel ist. Eure Stiefmutter weiß das, und das macht sie zu einer so guten Friedensstifterin.«
Matilda holte tief Atem.
»Wenn Männer mir treu dienen, bin ich aufrichtig zu ihnen, aber ich verlange, dass man mir die Wahrheit ins Gesicht sagt und nicht aus Angst um den heißen Brei herumredet.«
Brian sah sie lange an. Der Ausdruck in seinen Augen jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Es bedurfte nur einer Be wegung, und ihre Hände würden sich berühren, ihre Finger sich miteinander verflechten. Sie ballte eine Faust, um dem Drang zu widerstehen. »Würdet Ihr England als Zielscheibe des allgemeinen Spottes betrachten, wenn eine Frau auf dem Thron säße? Würdet Ihr es für widernatürlich halten?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ganz im Gegenteil, ich würde mich freuen.«
»Dann seid Ihr entweder der tapferste Mann, der mir je begegnet ist, oder Ihr lügt mich an.«
»Ich bin weder tapfer noch ein Lügner«, erwiderte er immer noch mit diesem sehnsüchtigen Leuchten in den Augen. »Ich bin nur Euer und Eures Vaters Diener.«
»Aber zuerst der meines Vaters.«
»Weil er der König ist und ich ihm alles zu verdanken habe, aber wenn Ihr Königin wärt, hieße das, dass er nicht mehr unter uns weilt.«
Auf Distanz gehend, machte Matilda ein paar Schritte an der Brustwehr entlang.
»Mein Vater hat Euch in der Tat zu einer gehobenen Stellung verholfen – als er Euch mit Maude of Wallingford verheiratet hat.«
Brian nickte, jetzt mit einem Anflug von Argwohn.
»Wie alt wart Ihr damals?«
Er senkte den Blick.
»Ich weiß es nicht mehr, es ist lange her. Vielleicht sechzehn.«
»Und wie alt war Eure Frau?«
Seine Stimme wurde rau.
»Doppelt so alt, wie Ihr wisst, und verwitwet.«
Ein kalter Wind wehte über die Brustwehr, und Matilda fröstelte.
»Und was habt Ihr gedacht, als Ihr sie geheiratet habt?«
»Wie ich schon sagte, es ist lange her.«
»Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr das vergessen habt, Ihr habt doch ein so gutes Gedächtnis.«
Er verzog voller Unbehagen das Gesicht.
»Ich war Eurem Vater dankbar. Ich wurde ohne väterliches Erbteil geboren, und er zog mich am Hof auf und verschaffte mir eines. Ich habe immer versucht, gut zu Maude zu sein, aber es war wie so oft eine Vernunftheirat.«
»Und was hielt Eure Frau davon, mit einem so jungen Mann verheiratet zu werden?«
Brian errötete.
»Ich habe sie nie gefragt. Wozu auch? Wir sind auf Gedeih und Verderb in ein Joch gespannt worden, und es ist unsere Pflicht, den Pflug in dieselbe Richtung zu ziehen. Wir tun, was uns befohlen wird.«
»Was uns befohlen wird«, wiederholte Matilda erschauernd. Morgen war es ihre Pflicht, zu ihrem Pflug und ihrem ungleichen Gefährten zurückzukehren.
»Ihr werdet einmal Königin sein«, sagte Brian sanft. »Eine große Königin.«
Sie las das Verlangen in seinen Augen. Gott sei dank stand sie nicht mehr direkt neben ihm.
»Aber einst war ich Kaiserin. Mein Vater möchte nicht, dass ich Königin werde, er möchte meine Söhne auf dem Thron sehen. Genau wie Geoffrey,
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