Die Hueterin der Krone
dass du mit unserem Vater über die Burgen sprichst, die zu meiner Mitgift gehören. Er weigert sich nach wie vor, sie mir zu übergeben. Damit ist Geoffrey berechtigt, in die Normandie einzufallen und sie mit Gewalt an sich zu bringen. Dann wird es zu einem Krieg kommen, der meinen Anspruch auf England und die Normandie gefährden wird.«
Robert runzelte die Stirn.
»Du weißt doch, wie halsstarrig er ist.«
»Das bin ich auch, wenn ich das Recht auf meiner Seite weiß. Ich muss ihn jetzt unter Druck setzen, denn wenn er nicht einlenkt, eskaliert der Streit, und dann muss ich ungeachtet aller Konsequenzen auf Geoffreys Seite stehen.«
Robert schüttelte den Kopf.
»Ich werde sehen, was ich tun kann, aber versprechen kann ich nichts.«
18
Rouen, Mai 1134
Matilda hörte eine Kirchenglocke läuten. Totengeläut? Ein Ruf zum Gebet? Der Klang hallte in ihrem Kopf wider, bis er ihn ganz ausfüllte und keinen Raum mehr für sie selbst ließ. Sie kam sich vor, als würde sie durch ein undurchlässiges Leichentuch aus dicht gewobenem Leinen atmen. In ihrem Becken und der empfindlichen Stelle zwischen ihren Beinen pochte ein dumpfer Schmerz. Die Geburt ihres zweiten Sohnes war schwer gewesen. Ihr Damm war gerissen, und sie hatte beim Abgang der Nachgeburt viel Blut verloren.
Das Läuten verstummte, und sie spürte, wie jemand ein kühles, feuchtes Tuch auf ihre Stirn legte. Gereiztes, beharrliches Babygeschrei ersetzte die Glockenklänge, gefolgt von schniefenden, schmatzenden Lauten. Matilda zwang sich, die Augen aufzuschlagen. Sie lag in einem Kokon aus Kissen und übereinandergelegten Federmatratzen. Hinter den Bettvorhängen wehte kühle Frühlingsluft durch ein offenes Fenster herein, und der Himmel bildete einen sonnenbeschienenen blauen Bogen. In einer Schale auf der Truhe am Fuß des Bettes brannte Weihrauch. Neben dem Kamin stillte eine Frau ein in Windeln gewickeltes Baby, eine andere spielte mit dem einjährigen Henry mit ein paar Holztieren.
»Matilda?« Adeliza beugte sich über sie. »Bist du wach, Liebes? Erkennst du mich?«
Was für eine seltsame Frage. Matilda leckte sich über die Lippen. Sie fühlten sich so rau an wie altes Leder. »Natürlich«, krächzte sie und musste husten. Adeliza hielt ihr einen Becher an die Lippen. Matilda trank einen Schluck von einem bitter schmeckenden Kräutersaft und hätte beinahe gewürgt. »Warum sollte ich dich nicht erkennen?«
»Du hast wirres Zeug geredet. Heute Morgen wusstest du nicht, wer ich bin. Du hast Fieber. Trink das, es wird dir helfen.«
Matilda tat, wie ihr geheißen, und erschauerte wegen des widerlichen Geschmacks.
»Liege ich im Sterben?«, fragte sie. »Sag mir die Wahrheit.«
Adeliza stellte den Becher zur Seite, wrang das Tuch in kaltem Wasser aus und legte es wieder auf Matildas Stirn.
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Du bist sehr krank. Jeder betet für dich. Aber du erkennst mich jetzt wenigstens, das muss ein gutes Zeichen sein.«
Matilda starrte die Bettvorhänge an. Das verschlungene Muster der Goldstickerei schien sich zu winden wie eine Schlange. Sie krümmte und ringelte sich und glühte wie Feuer. Sie kniff die Augen zusammen.
»Trotzdem muss ich die Beichte ablegen«, flüsterte sie. »Sollte ich sterben, möchte ich in Bec begraben werden. Mein Vater wird auf die Kathedrale bestehen, aber lass auf keinen Fall zu, dass er seinen Willen durchsetzt. Versprich es mir.«
Adeliza drückte ihre Hand.
»Sprich nicht so. So Gott will, wirst du wieder gesund werden.«
»Versprich es«, wiederholte Matilda hitzig.
»Also gut, ich verspreche es«, erwiderte Adeliza widerstrebend.
»Ich möchte beichten und meine letzten Vorbereitungen treffen, solange ich noch bei klarem Verstand bin. Holst du Pater Herbert und einen Schreiber her?«
Adeliza küsste sie und verließ ihren Platz neben dem Bett. War sie dem Tode nah? Matilda horchte in sich hinein, konnte aber außer der sengenden Hitze des Fiebers und den seltsamen, bunten Farbblitzen hinter ihren Lidern nichts wahrnehmen. War alles vergebens gewesen? Hatte alles hier ein Ende? Leiser Groll keimte in ihr auf. Sie war noch nicht bereit, vor ihren Schöpfer zu treten, auch wenn sie vorsichtshalber die nötigen Vorkehrungen treffen musste.
Adeliza kam zurück und tupfte behutsam Matildas Gesicht und Hände ab.
»Pater Herbert und sein Schreiber sind auf dem Weg hierher«, murmelte sie.
»Sollte es zum Schlimmsten kommen, möchte ich, dass du dich um Geoffrey und Henry
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