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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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wurden. Ihr Klappern und Rollen war sogar in der Schlafkammer zwei Stockwerke über der Druckerei zu hören. Hatte der Rat die Ruhegesetze aufgehoben? Möglich war das schon, denn während des Reichstags herrschten allerlei andere Bestimmungen. Und es gab immer wieder mal Neuigkeiten, die auf Flugblättern festgehalten wurden, die anderntags auf den Märkten ihre Abnehmer fanden. Bislang hatte die Herstellung derselben das Samstagabendvergnügen Severin Meitingers jedoch nie gestört.
    Eingehüllt in das Leinentuch, trat Christiane ans Fenster und sah hinaus. Des Nachts war auch die gute Wohngegend in der Oberstadt dem Gesindel vorbehalten, den Huren und Hasardeuren, Betrügern und Bettlern, obwohl das Almosenamt schon vor Jahren das Hausieren verboten hatte. In den Wirtshäusern wurde reichlich ausgeschenkt, vor allem, seit so viele fremde Söldner durch die Gassen zogen, die mit den Herrschern aus dem Norden, aus Bayern und Württemberg nach Augsburg gekommen waren. Die jungen Männer suchten Zerstreuung und Unterhaltung.
    Christianes Augen wanderten über die Dächer vor ihrem Fenster, das nach Südosten gerichtet war. Sie konnte natürlich nicht ungehindert zur Unterstadt blicken, sie wusste nur vage, dass sich hinter den vor dem dunklen Himmel sich abzeichnenden Silhouetten der vornehmen Bürgerhäuser das bescheidene Quartier der einfachen Handwerker, Tagelöhner und Juden befand.
    Mit dem Augsburger Stadtplan vor ihrem geistigen Auge, landeten ihre Gedanken bei Martha und Sebastian Rehm. Was ihre Cousine wohl gerade tat? Hatte sie den kleinen Johannes noch einmal gestillt? Lag sie wach im Bett und beobachtete, wie Sebastian seine Gesundheit weiter schädigte und gegen jede Vernunft sein geheimnisvolles Werk verfasste? Oderkochte sie einen Kräutersud, dessen Genuss Kopfschmerzen und Schwindel Linderung verschaffte?
    Voller Sorgen dachte Christiane an den schlechten Gesundheitszustand ihres Vetters. Sie war die einzige Person, die ihm tatkräftig helfen konnte. Martha war finanziell nicht in der Lage, einen anständigen Medicus zu holen, und Christiane konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Cousine willens war, nach dem Henker zu schicken, der die armen Leute manchmal behandelte. Angeblich verstand sich der Scharfrichter sowieso wohl besser auf die Arbeit eines Chirurgen als auf die Verabreichung von Medikamenten gegen Sebastians Unwohlsein. Natürlich wusste sie nur vom Hörensagen von der Nebenbeschäftigung des Henkers, aber auch Armut hatte sie niemals am eigenen Leibe erfahren.
    Ein Kälteschauer schüttelte ihren Körper. War es die Erinnerung an Sebastian, dessen Geldnot oder der Gedanke an den Folterknecht, der sie frösteln ließ? Unwillig schüttelte sie den Kopf. Sie sollte sich lieber um ihr eigenes Wohl kümmern und das Essigschwämmchen vorbereiten, das sie jeden Samstagabend heimlich in ihre Öffnung steckte, bevor Severin in sie eindrang. Eine weise Frau hatte ihr verraten, dass dieses Mittel dazu geeignet war, eine Schwangerschaft zu verhindern. Um ganz sicherzugehen, nahm sie auch jeden Tag einen Löffel von den Samen der Wilden Möhre ein. Sie konnte nicht genau sagen, warum, aber sie wollte einfach kein Kind. Im Moment jedenfalls nicht. Obwohl die Geburt eines Sohnes von ihr erwartet wurde und sie wahrscheinlich sogar im Ansehen des alten Titus steigen lassen würde.
    Schwere Schritte auf dem Flur unterbrachen ihr Grübeln. Einen Augenblick später trat Severin ein, wie immer nach der Arbeit mit herunterhängenden Armen, als habe die Last der Druckplatte auf seinen Schultern gelegen. Der Geruch eines nassen Hundes umgab ihn wie stets nach einem Tag in derWerkstatt. Sein schütteres Haar war zerzaust, die Linien in seinem Gesicht tiefer als sonst.
    Seine Augen leuchteten einen Herzschlag lang auf, als er des ungewöhnlich freizügigen Anblicks seiner jungen Ehefrau gewahr wurde. Es war jedoch nur ein Hauch von Bewunderung, denn im nächsten Moment verdüsterte sich seine Miene wieder. »Warum bist du noch nicht zur Nacht angekleidet?«
    Christiane blickte an sich herab. Unter dem Leinentuch zeichnete sich ihre Figur deutlich ab, ihr Rücken, ihre Schultern und die Arme waren unbedeckt. Severin war ihr Mann. Was war schändlich daran, dass er sie halb nackt sah und daran offenkundig Vergnügen empfand?
    Sie zuckte entschuldigend mit den Achseln. »Ich habe nachgedacht.«
    »Aber doch nicht am Fenster, wo dich jedermann sehen kann!«, protestierte ihr Gatte. Mit langen Schritten durchmaß er

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