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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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aufgeladen habe.«
    Wenn Christiane später darüber nachdachte, konnte sie sich niemals wirklich erklären, warum sie Martha und das Kind mit dem Lehrling fortschickte, ohne ihr Handeln zuvor überlegt zu haben. Nüchtern betrachtet, war es vollkommen unverständlich, dass sie alleine in der Wohnung der Rehms zurückbleiben wollte. Natürlich nur, um ihre verstreut herumliegenden Perlen aufzuheben. Aber mit Hilfe der anderen wäre die Suche nach ihrem Schmuck rascher vonstatten gegangen. Dennoch schlug sie Martha vor, unverzüglich zur Katharinengasse aufzubrechen. Anton hatte schließlich recht, in dieser Gegend war man vor dem Pöbel nicht sicher.
    Sie schob den Kleinen in die Arme seiner Mutter.
    Johannes, der sich wohl inzwischen um sein schönes Spiel mit den Perlen betrogen fühlte, brach in wütendes Geschrei aus, und Martha war vollauf damit beschäftigt, einen Zipfel ihres Rocks zwischen die Lippen ihres greinenden Sohnes zu schieben. Kein leichtes Unterfangen, denn Johannes wollte sich damit nicht zufriedengeben.
    »Geh nur, Martha, er wird sich auf dem Fuhrwerk beruhigen«,meinte Christiane. »Ich komme schon allein zurecht.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja, das bin ich.«
    Mit hängenden Schultern, aber plötzlich in Eile, stob ihre Cousine davon, gefolgt von dem Lehrling, der Sebastian Rehms Sterbezimmer offensichtlich ebenso gerne verließ wie neulich in der Früh. Bald darauf erklang der Hufschlag des Zugpferdes.
    Nachdenklich drehte sich Christiane um die eigene Achse. Nichts war so einsam wie eine Wohnung, aus der das Leben gerade gegangen war. Es roch nicht mehr nach der Süße der Kinderhaut, nach Marthas geschmackloser Kohlsuppe oder dem Moder der Papierstapel. Ihr Blick auf die Holzstückchen, mit denen Johannes zuletzt gespielt hatte, verstärkten das Gefühl des Verlassenseins. Christiane stand in einer Stube, die mit einem Mal so kahl wirkte, als sei nicht gerade eben erst die Hausfrau ausgezogen, sondern bereits vor längerer Zeit alles fortgeräumt worden. In gewisser Weise war es wohl so, dachte sie traurig: Mit Sebastian Rehms Tod war das Licht in diesem ohnehin finsteren Raum erloschen.
    Und da war sie – die Eingebung. Plötzlich wurde Christiane bewusst, dass sie jetzt ungehindert und in Ruhe in der Truhe mit den Manuskripten nach dem besonderen Werk in Sebastians Nachlass suchen konnte. Es war ein Geheimnis – und sie war vielleicht in der Lage, es zu lösen. Jedenfalls besaß sie die Gelegenheit dazu.
    Zuvor musste sie sich jedoch um ihren Schmuck kümmern. An Meitingers Vorhaltungen wollte sie lieber nicht denken. Den Verlust ihrer Perlen würde er trotz aller Großzügigkeit gewiss nicht unkommentiert lassen. Also sank sie in die Hocke und rutschte schließlich auf den Knien über den Boden, um die Kostbarkeiten aufzusammeln.
    »Du lieber Himmel, was tut Ihr dort?«
    Die unerwartete Männerstimme erschreckte Christiane dermaßen, dass sie ihr Gleichgewicht verlor, als sie über die Schulter zur Tür spähen wollte. Ziemlich unsanft landete sie auf ihrem Allerwertesten – und machte damit eine zutiefst lächerliche Figur zu Füßen von Georg Imhoff. Die Peinlichkeit ihrer Begegnung schnürte ihr die Kehle zu.
    Er sank neben ihr auf die Knie. »Eine schöne Frau, die in einer verlassenen Wohnung auf allen vieren herumkriecht – was hat das zu bedeuten, Meitingerin?«
    In einer hilflosen Geste deutete sie auf die verbliebenen Perlen am Boden, dann präsentierte sie ihm ihre geöffnete Faust, in die sie einen Teil ihres Schmucks bereits gesammelt hatte. »Meine Kette ist gerissen«, erklärte sie verlegen.
    »Wenn das so ist, solltet Ihr Euch erheben und mir das Suchen überlassen«, schlug er vor, richtete sich auf und streckte ihr lächelnd die Hand entgegen.
    Sie ließ sich aufhelfen. »Der kleine Johannes hat sich in den Schnüren verfangen, als ich ihn auf den Arm nahm. So etwas passiert eben, aber ich kann die Perlen natürlich keinesfalls liegenlassen ...«
    »Keinesfalls«, bestätigte Imhoff und bückte sich nach den noch herumliegenden Muschelsteinchen.
    Lieber Gott, fuhr es Christiane durch den Kopf, worüber reden wir hier? Das ist absurd. Beschämt dachte sie an ihre Begegnung in Severins Weinkeller. Alles zusammengenommen musste Imhoff glauben, dass sie trunksüchtig, aufdringlich, unaufmerksam und dümmlich war. Dabei war sie hoffentlich nichts von all dem. Der Moment, in dem sie die Augen geschlossen und die Lippen geöffnet hatte, war ihr jedoch deutlich in Erinnerung

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