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Die Hüterin des Schattenbergs

Die Hüterin des Schattenbergs

Titel: Die Hüterin des Schattenbergs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Jeminas Herz begann heftig zu pochen. Sie versuchte, sich abzulenken, indem sie Ulves lauschte, der die Eleven nun einzeln beim Namen rief und ihnen den Namen ihres verstorbenen Hüters hinzufügte. A ls er alle vorgestellt hatte, wandte er sich Jemina zu und fragte leise: »Du weißt, was du zu tun hast?«
    Jemina nickte wieder. Ihre Bewegungen waren hölzern, als sie vor Khira trat und dem Mädchen beide Hände in einer W eise auf das geflochtene Haar legte, von der sie hoffte, dass sie feierlich genug wirkte.
    »Schließe deine A ugen und öffne deinen Geist«, rezitierte Jemina feierlich die W orte, die sie zuvor mit Rik ersonnen hatte, so laut, dass auch die Umstehenden es hören konnten.
    »Ich soll meinen Geist öffnen?« Khira schaute Jemina verwirrt an.
    Jemina seufzte. »Schicke ein Gebet an die Götter. Höre in dich hinein.« Sie lächelte, obwohl sie am liebsten weggelaufen wäre. Das waren keine guten V orzeichen. T rotzdem zwang sie sich, weiterzumachen. Khira stand jetzt still und mit geschlossenen A ugen vor ihr. Nun schloss auch Jemina ihre A ugen und bewegte tonlos die Lippen, als ob sie einen mystischen Spruch aufsagen würde. In W irklichkeit wiederholte sie in Gedanken die ersten beiden Strophen eines alten Kinderliedes, das ihre Großmutter ihr vorgesungen hatte, wenn sie nicht einschlafen konnte. Sie wusste, dass Corneus sie nicht aus den A ugen ließ und wollte keinen Fehler machen. Immerhin musste es so aussehen, als ob sie denselben Spruch neunmal aufsagte.
    Als sie fertig war, legte sie Khira die Hand unter das Kinn und sagte sanft: »Sieh mich an!«
    Khira gehorchte.
    »Du weißt nun alles, was du wissen musst, um eine gute Hüterin zu sein«, fuhr Jemina fort. »Bewahre dieses W issen in deinem Herzen und gib es rechtzeitig an deine Eleve weiter, auf dass es nie wieder verloren geht.«
    »Das werde ich.« Khira nickte ernst. In diesem A ugenblick wirkte sie sehr erwachsen. Jemina wandte sich Jordi zu, der als Nächster in der Reihe stand. Gerötete W angen verrieten seine A ufregung. Er musste Khiras W eihe genau beobachtet haben, denn er schloss sofort die A ugen, als Jemina ihm die Hände auf den Kopf legte. Sie war froh, dass er es ihr so leicht machte. Nach einem kurzen Moment vorgetäuschter Besinnung begann sie erneut, die beiden Liedstrophen tonlos vor sich hin zu murmeln. Dann nahm sie die Hände fort. Jordi öffnete die A ugen und fragte mit einem A nflug von Enttäuschung in der Stimme: »Das war alles?«
    »Ja.« Jemina nickte erschöpft. In W irklichkeit kämpfte sie darum, die Haltung zu bewahren.
    »Aber ich spüre …«
    »Nicht jetzt.« Jemina fuhr sich mit der Hand ermattet über das Gesicht. »Die anderen …«
    »Dies ist wahrlich nicht der Ort für Fragen«, mischte sich Ulves mahnend in das Gespräch ein. Jordi nickte, biss sich auf die Unterlippe und schaute beschämt zu Boden. Jemina fühlte sich wie eine Betrügerin. Jordi tat ihr leid. A ber sie musste den Schein wahren. Sie würde Jordi alles erklären – später wenn alles ein Ende gefunden hatte. Ohne ihn noch einmal anzusehen, wandte sie sich dem nächsten Eleven zu, dann dem übernächsten und dem danach. Die Zeit schien stillzustehen, während sie neun Mal das bedeutungslose Ritual vollzog. Rik war der Letzte in der Reihe. Er wirkte konzentriert und in sich gekehrt, lächelte nicht und rührte sich nicht, als sie ihm die Hände auf den Kopf legte und die Liedstrophen stumm vor sich hinzusprechen begann.
    Dann war es vollbracht. Jemina schwankte, als sie die A rme sinken ließ. Obwohl sie alles nur vorgespielt hatte, fühlte sie sich ausgelaugt. Doch sie straffte sich und wandte sich mit den W orten: »Es ist vollbracht« an Ulves.
    Der Zeremonienmeister bedeutete ihr durch eine Geste, sich neben Rik zu stellen, um seinerseits mit der W eihezeremonie zu beginnen. Ähnlich wie Jemina es bei den anderen getan hatte, legte Ulves ihr seine Hand auf den Kopf, sprach eine A rt kurzen Segen und zeichnete gleichzeitig mit der freien Hand ein verschlungenes Symbol in die Luft. Jemina war enttäuscht, dass sie, anders als beim Heraufbeschwören des Funkenregens, weder ein Kribbeln auf der Haut, noch etwas Ähnliches spürte, das auf die Gegenwart von Magie schließen ließ.
    »War das alles?«, hätte sie am liebsten wie Jordi gefragt, als Ulves sich Rik zuwandte. A ber sie schwieg; vermutlich war auch diese W eihe nichts weiter als ein Schauspiel. Sie war froh, als Ulves die Zeremonie mit einem gemeinsamen Lied und

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