Die Hüterin des Schattenbergs
orahnungen für einen A ugenblick zu vergessen. Gemeinsam schauten sie aus dem Fenster, wo die Sonne wie ein roter Feuerball hinter dem Horizont verschwand. A ls der letzte feurige Streifen verblasst war, ertönte ein feierliches Hornsignal von den T ürmen der Feste.
»Es ist so weit. W ie müssen gehen.« Rik straffte sich, nahm Jeminas Hand und lächelte ihr zu. »Die Götter sind mit dir. V ergiss das nicht.«
Jemina nickte. Dann atmete sie tief durch und folgte Rik auf den Innenhof der Feste, wo die W eihezeremonie stattfinden sollte.
Obwohl man die V orbereitungen für das Fest in aller Eile getroffen hatte, war der Innenhof bereits festlich geschmückt, als Rik und Jemina dort eintrafen. Die offenen, von marmornen Säulen getragenen Bogengänge rings um den quadratischen Innenhof erstrahlten im W iderschein von Dutzenden Feuerkörben. Das warme Licht setzte sich auf dem Platz im tanzenden Schein unzähliger Fackeln fort.
Überall drängten sich Menschen, um der W eihezeremonie beizuwohnen. In dichten Reihen umstanden sie das mit steinernen Mosaiken gepflasterte Herz des Platzes, in dessen Mitte sich ein kunstvoll gestalteter Brunnen mit drei tellerförmigen T errassen aus weißem Marmor erhob. Geweihtes W asser aus den T iefen der Erde trat an der höchsten Stelle sprudelnd zu T age, fiel plätschernd über die einzelnen T errassen in die T iefe und speiste ein großes, flaches Becken am Fuß des Brunnens, ehe es wieder im Boden verschwand. Fackeltragende Präparanden umstanden den Brunnen in einem weitläufigen Kreis und hielten die Fläche nahe dem Brunnen für die angehenden Hüter frei. Eine Gasse, die ebenfalls von Fackelträgern begrenzt wurde, führte von den Bogengängen zu dem Platz, wo Ulves die Eleven in der kostbaren, von Silber und Goldfäden durchwirkten A mtrobe des Zeremonienmeisters erwartete.
Als Jemina den Bogengang betrat, erfasste sie eine feierliche Stimmung, die von den lieblichen Düften des Frühlingsabends und der ungewöhnlichen Stille, die über dem Platz lag, noch vertieft wurde. Niemals zuvor hatte sie so viele Menschen auf engem Raum beisammen gesehen, die so erwartungsvoll schwiegen.
Am Ende des Bogenganges entdeckte Jemina die Eleven, die darauf warteten, dass Ulves sie zu sich rief. A ls der Zeremonienmeister Jemina und Rik sah, hob er kurz die A rme, zum Zeichen, dass die Zeremonie begann, und rief mit volltönender Stimme: »Hört her, ihr Magier, ihr Präparanden und Dienstboten! W ir sind heute hier zusammengekommen, um zu erleben, wie eine Gruppe junger und mutiger Eleven unser V olk in eine neue, sichere Zukunft führt. Ein furchtbarer Schicksalsschlag wollte es, dass alle Hüter des A chten Zirkels aus unserer Mitte gerissen wurden und wir der Bedrohung durch die Schatten nahezu schutzlos ausgeliefert waren.
Dass wir heute hier stehen, um den Grundstein für den Neunten Zirkel zu legen, grenzt an ein W under. Darum lasst uns zunächst gemeinsam den Göttern danken, die uns wohlgesonnen waren und die Geschicke Selketiens in der Zeit höchster Not so lenkten, dass wir von Unheil verschont geblieben sind.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause und fuhr dann fort: »Erhebt eure Hände und Herzen und lasst jene, die über uns wachen, eure Liebe und Dankbarkeit spüren, ehe wir die Eleven in den Stand der Hüter erheben, auf dass sie das V olk der Selketen bis in die ferne Zukunft vor den Schatten bewahren und dafür Sorge tragen, dass uns der Frieden erhalten bleibt.« Er verstummte und hob beide A rme beschwörend in die Höhe.
Das leise Rascheln von Stoff erfüllte die Stille, als Hunderte es ihm gleich taten. Jemina erschauderte. Obwohl sie wusste, dass kein Funken W ahrheit in Ulves’ W orten steckte, konnte sie sich der Magie des A ugenblicks nicht entziehen. Gebannt lauschte sie dem Zeremonienmeister, der nun knappe Sätze in einer ihr unbekannten Sprache rezitierte, die von der Menge in einem sonoren Chor wiederholt wurden. Mit jedem neunen Satz gewannen die Stimmen an Macht. Sie wurden lauter und fordernder, während sich über den in die Höhe gereckten Händen gleichzeitig ein silbriger Lichtschein bildete, der mit jedem Satz stärker leuchtete.
Jemina spürte ein Kribbeln auf der Haut, das sich verstärkte, je heller das magische Leuchten wurde. Gespannt hielt sie den A tem an. Die gemeinsam heraufbeschworene Magie war mächtiger als jeder Zauber, dem sie bisher begegnet war.
Als die Magie sich so weit verdichtet hatte, dass die A nspannung kaum noch
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