Die Hure: Roman (German Edition)
an einer der Scherben geschnitten. Aus der Wunde an der Hand tropft Blut auf den Fußboden. Das kleinere Tier leckt es auf.
»Bedienung! Könnte ich für das verschüttete Bier ein neues kriegen, ich will nicht bloß untenrum trinken!«, schallt es aus dem Saal.
Männerwitze sind manchmal dermaßen blöd. Kalla trocknet sich das Gesicht und vergewissert sich, dass ihr Make-up nicht verlaufen ist. Sie bringt dem Mann ein Bier. Der Mann bittet um ein Handtuch. Kalla bringt auch das. Der Mann ruft, sie solle das Handtuch holen. Kalla holt es. Der Mann bittet um die Rechnung. Kalla bringt sie.
Die Männer zahlen und ziehen ihre Mäntel an. Kalla verdrückt sich ins Hinterzimmer, wo immer noch die Tiere sitzen. Im Saal wird es still, vielleicht kommt heute Abend keiner mehr, denkt sie.
Die Pendeltür für das Personal schwingt, Kalla spürt den Luftzug. Sie geht auf den Flur und hofft, dass die Tiere bleiben, wo sie sind.
Auf dem Flur steht der Mann, den sie kennt. Er sagt Hallo. Kalla blickt auf den nassen Fleck auf seiner Jeans.
MANN: Du könntest grüßen.
KALLA: Ach ja.
MANN: Falls du nichts gegen mich hast.
KALLA: Wieso?
MANN: Na, hast du irgendwelche Klagen?
KALLA: …
MANN: War doch alles ganz okay, oder?
KALLA: …
MANN: Es hat dir doch gefallen?
Kalla sieht dem Mann in die Augen, jedenfalls beinahe, vielleicht irgendwo in die Wangengegend.
KALLA: Ach, ich weiß nicht.
Da kommt ein Geräusch aus dem Pausenraum, zuerst ein Klatschen, dann Getrappel. Kalla dreht sich um und sieht die Tiere. Sie bewegen sich jetzt viel schneller, im Nu stehen sie neben ihr. Der Mann, den Kalla kennt, sieht die Tiere angewidert an. Er zögert einen Moment, bevor er sich umdreht, um zu gehen.
Doch die Tiere wollen ihn nicht weglassen. Sie werfen ihn zu Boden und stellen sich auf ihn. Das kleinere Tier starrt dem Mann in die Augen. Das heißt, es starrt natürlich nicht, es kann ja nicht sehen. Kalla begreift, was es will. Sie tritt zu dem Mann, kratzt ihm mit einem Dessertlöffel die Augen aus und gibt sie dem kleineren Tier.
Der Koch hört den Schrei des Mannes bis in die Küche. Er kommt heraus, um nachzusehen, was das für ein Lärm ist. Beim Anblick der Tiere wird er ganz bleich, sogar seine Haare werden weiß, obwohl er Türke ist.
Er rammt sein Fleischerbeil in den Tisch und geht und kehrt nie mehr in die Gastronomiebranche zurück.
Eine Leiche ist immer ein Problem, das weiß Kalla. Aber kein so großes Problem wie der Mann, den sie kennt und dem sie die Augen ausgekratzt hat.
Also tut Kalla Folgendes:
Sie stopft dem Mann eine zerrissene Strumpfhose in den Mund, damit er nicht so laut schreit.
Sie bindet ihre Schürze ab und fesselt ihm damit die Hände.
Sie schleift den Mann in die Kühlkammer.
Was jetzt, überlegt sie und begreift, dass das Restaurant immer noch geöffnet ist und jederzeit jemand hereinkommen kann. Sie schließt die Restauranttür ab.
Kalla betrachtet den Mann, den sie kennt, und ist sich nicht mehr sicher, ob sie ihn wirklich kennt. Dieser Mann ist Abfall, weinender, schniefender, rotziger und blinder menschlicher Abfall. Sie kannte einen Mann, der selbstsicher, entschlossen und aggressiv war. Einen Mann, der ein »Nein« nicht gelten ließ.
Kalla tritt dem Mann in die Rippen, nur so zur Probe. Der Mann wimmert, Rotz läuft über seinen lächerlichen Schnurrbart. Kalla muss Gewissheit haben. Sie reißt dem Mann die Strumpfhose aus dem Mund.
»Entschuldige, aber ich muss dich unbedingt fragen, ob du derjenige bist, der mich neulich …« Sie überlegt, wie sie den Satz beenden soll, die Worte kommen ihr nicht in den Sinn, nicht in den Sinn oder nicht über die Lippen, egal. »… also ich meine, du hast doch, als ich Nein gesagt habe, einfach weitergemacht. Also praktisch, na ja, du hast mich … Na ja.«
»Ja, aber es tut mir wirklich leid«, antwortet der Mann.
»Na klar.«
»Ehrlich. Das war ein Versehen. Es ist einfach irgendwie passiert.«
»Aha. Verstehe.«
»Bitte, gib mir noch eine Chance, in Wirklichkeit bin ich ein guter Mensch.«
Jemand schlägt heftig gegen die Tür des Restaurants. Dann klingt es, als mache sich wer am Schloss zu schaffen. Kalla muss sich beeilen.
Die Chefin im Saal brüllt bereits: Sie ist eine Frau, die sich nicht scheut, ihre negativen Gefühle zu äußern. Sie läuft zur Kühlkammer und reißt die Tür auf.
»Was geht hier vor?«
»Das ist unser neuer Koch«, sagt Kalla und zeigt auf den Mann.
»Wieso, wo ist Muhammad?«
»Weg.«
»Was
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