Die Hure: Roman (German Edition)
einige Frauen kennen. Unter ihnen war eine Araberin, die mich in die Mystik ihrer Heimat einführte. Dazu gehörten verschiedene Riten und so. Mein Leben wurde interessant.
Mit fünfzig zog ich allein in ein kleines Haus am Jordan. Einmal schlief ich ein, während ich darauf wartete, dass das Brot fertig buk. Das Feuer erfasste die Stoffe, und ich verbrannte mit meinem Zuhause. Es gibt schlechtere Arten zu sterben.
10.
YOU AND ME, WE USED TO BE TOGETHER.
EVERY DAY TOGETHER, ALWAYS. I REALLY FEEL THAT I’M LOOSING MY BEST
FRIEND. I CAN’T BELIEVE THIS COULD BE THE END.
MILLAS KARRIERE WELKT DAHIN. Ein Freier nach dem anderen erklärt ihr, eine trächtige Hure sei irgendwie, weißt du, unerregend. Sie sagen, sie kämen auf die Sache zurück oder, hehe, zur Sache, sobald Millas Zustand sich normalisiert.
Der Bauch wächst, das Geld geht aus.
Sie bittet auf dem Arbeitsamt um Arbeitslosenhilfe. Die Beamtin lacht lange und aggressiv und fragt, ob das Fräulein Steuern gezahlt habe, aha, also nicht. Sie drückt Milla eine Visitenkarte von Pimp & Pimp in die Hand und wünscht ihr alles Gute.
Milla gibt klein bei. Sie steigt in die Straßenbahn und fährt ins Zentrum zum Personalvermittlungsbüro.
Zuerst hält sie das Bild für eine besonders barbarische Reklame. Dann übergibt sie sich. Die Menschen sehen sie missbilligend an. Milla drängelt sich durch die Menge und steigt aus der Bahn. Sie ruft bei Kalla an, doch eine Frauenstimme sagt, unter der gewählten Nummer gebe es keinen Anschluss. Also ruft sie Kallas Mann an. »Sie ist zur Arbeit gegangen und nie zurückgekommen, aber du kannst mich besuchen, wenn du willst«, sagt der Mann. Milla legt auf.
Sie vergisst die Personalvermittlung und macht sich auf den Heimweg. An der Metrostation, an Hauswänden, an den Ladentüren, überall Bilder von Kalla mit zugetackerten Lippen und Schamlippen. Von Bild zu Bild wachsen Furcht und Schrecken in Millas Innerem. Kalla ist zur Arbeit gegangen und nie zurückgekommen. Natürlich nicht. Kalla ist nicht mehr.
KALLA IST ERMORDET WORDEN.
Milla erinnert sich an diesen einen Film, in dem Johnny Depp mitspielt und jemand die Huren in der Stadt umbringt. Irgendein verrückter sadistischer Frauenhasser hat Kalla ermordet. Milla will nicht sterben. Und zugetackert will sie auch nicht werden. Denn dann würde es sie bei der Geburt zerreißen. So wie die Frauen, die man zugenäht hat.
Milla ist ganz allein auf der Welt. Sie sucht keine Arbeit. Sie verlässt ihre Wohnung nicht mehr. Sie isst Makkaroni. Als die Makkaroni alle sind, isst sie Haferbrei. Als auch die Haferflocken alle sind, isst sie Nonpareilles.
Wenn sie schläft, hat sie Albträume, in denen Kalla Milla ihren Arbeitsplatz zeigt: Sie führt Milla in den Keller, zu den mahlenden Kiefern der Müllpresse. Kalla hat Erde unter ihren langen Acrylnägeln. Die Müllpresse verwandelt sich in ein schwarzes Ungeheuer. Es reißt das Maul auf und verschlingt Kalla. Milla läuft weg. Sie findet die Damentoilette und verriegelt die Tür. Doch dann wird ihr Bauch ganz hart. Sie sieht, wie der Fötus sich unter ihrer Haut windet, er will raus, kann aber nicht, obwohl Milla die Beine spreizt. Der Fötus bohrt seinen Kopf durch ihre Bauchdecke und zwängt sich heraus und sieht genauso aus wie die Müllpresse, nur kleiner.
Milla liest Werbeprospekte, um sich abzulenken und wach zu bleiben: »Analysewaage: 29,90. PS3 Move XB360 Kinect Wii Zumba Fitness-Spiel: 39,90. Gesichtsmassierer. Die dazugehörenden Pflegepads enthalten Collagen und Retinol, deren Wirkung durch die Ionisierung intensiviert wird. Furchen und Falten bilden sich zurück, die Haut regeneriert sich. Festigt die Gesichtsmuskeln. Batterieantrieb. Zwei Jahre Garantie: 99,90.« Die Augen fallen ihr zu, sie versetzt sich eine Ohrfeige.
»Alphadite Goddess of Shopping Kuh, Höhe ca. 20 cm: 39,90 …« Sie schläft ein. Aber gerade als die Müllpresse Kalla zermalmt, klingelt es. Milla schreckt hoch. Ihr Puls beschleunigt sich, und sie erstarrt. Auf leisen Sohlen schleicht sie zur Tür. Kurz bevor sie den Türspion erreicht, klingelt es erneut. Milla schreit auf.
»Ich weiß, dass du da bist!«, hört sie. Sie öffnet die Tür.
Als sie hereinstürmt, prallt Aphrodite gegen Millas dicken Bauch. Sie erschrickt und kreischt auf. Dann befühlt sie den Bauch und lacht ihr herrliches Liebesgöttinnenlachen. Sie umarmt Milla, und Milla vergisst ihren Groll. Sie ist unglaublich glücklich: Rettung ist da.
»Eine Schwangerschaft
Weitere Kostenlose Bücher