Die Hure: Roman (German Edition)
getötet«, klagte sie. »Welchen Sinn hat es, in einer solchen Welt zu leben?«
Aphrodite meinte tröstend, neues Leben werde geboren.
Doch Sarah war nicht zu trösten. »Neues Leben entsteht, und dann wird es auch getötet.«
Mit der Zeit sprach Sarah immer weniger. Sie fühlte sich im Garten nicht mehr wohl, denn dort hörte man die Schüsse aus dem Wald. Sie begann wieder zu schreiben. »Das ist wirklich schön«, sagte Aphrodite, als Sarah einen Gedichtentwurf auf dem Küchentisch liegen gelassen hatte. Sarah riss ihr das Gedicht aus der Hand und schrie, das ist nicht schön, es ist schrecklich, nichts als Tod und Entsetzen und Trauer. Aphrodite legte die Arme um sie.
Sarah kam nicht über den Tod der Tiere hinweg. Auch Aphrodite war traurig, aber man kommt über alles hinweg, wenn man es ernsthaft versucht. Doch Sarah versuchte es gar nicht erst. Sie sagte, es sei sinnlos. Das Leben sei nur eine Serie erschütternder Verluste.
Aphrodite warf alle scharfen und spitzen Gegenstände in den Müll und spülte alle bedenklich aussehenden Pillen und Flüssigkeiten im Klo herunter. Sie versuchte, nachts mit Sarah zu wachen, aber tiefer, schwarzer Schlaf verschloss ihr die Augen. Und eines Nachts, als sie aufschreckte, sah sie Sarah an der Strebe über der Schlafzimmertür baumeln. Mit Schnürsenkeln erhängt.
Der Tod ist so veranlagt, dass er aus purem Vergnügen jemanden freilässt, wenn er weiß, dass er ihn bald doch wiederbekommt. Deshalb war es so leicht gewesen, Sarah ins Leben zurückzuholen.
Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
»Habe ich das richtig verstanden? Deswegen hast du einen deiner Liebhaber geopfert?«, fragt Milla als Erstes.
»Nein, nein, er war mein Produzent.«
»Gut, aber er war in dich verliebt.«
»Natürlich, sonst hätte ich ihn doch nicht um ein solches Opfer bitten können!«
»Du hast ihn also gefragt, ob er einverstanden ist?«
»Nicht direkt.«
»Also hast du ihn kaltblütig getötet, um zu bekommen, was du wolltest.«
»Na ja. So kann man es auch sehen.«
»Du musst ihn um Verzeihung bitten!«
»Ich mag nicht.«
»Du rufst sofort da an. Bei der Frau, zu der du ihn gebracht hast.«
»Nein.«
»Doch.«
Das Handy klingelt lange. Aphrodite will schon aufgeben, doch Milla sagt, es handelt sich immerhin um das Jenseits, da sind die Leitungen lang. Endlich meldet sich die Frau. Aphrodite grüßt und fragt, wie es ihr geht. Die Frau antwortet kurz angebunden. Dann schweigen beide eine Weile. Schließlich fragt Persephone, ob Aphrodite irgendein Anliegen hat. Aphrodite bittet, mit dem Produzenten sprechen zu dürfen. Persephone überlegt eine Weile, dann hört Aphrodite, wie sie mit ihrer fraulichen Stimme den Namen des Produzenten ruft. Aphrodite hört den Namen zum ersten Mal. Sie hat wohl gedacht, der Mann hätte keinen. Oder nein, sie hat nicht einmal das gedacht. Sie hat einfach keinen Gedanken auf ihn verschwendet.
PRODUZENT (mit leiser Stimme): Hallo?
APHRODITE (munter): Grüß dich, wie geht’s?
PRODUZENT: Aphrodite?
APHRODITE: Ja.
Es wird still. Aphrodite hört nur ihren eigenen Atem in der Leitung.
PRODUZENT: Was willst du?
Es ist, als wäre seine Stimme tiefer geworden.
APHRODITE (stotternd): Na. Vielleicht … na vielleicht will ich mich entschuldigen.
PRODUZENT: Dann ist natürlich alles wieder gut.
APHRODITE (ehrlich froh): Wirklich wahr!?
Wieder Stille. Unerträglich.
APHRODITE: Tja, das hast du wohl nicht ernst gemeint …
PRODUZENT: Du hast mir das Herz gebrochen und aus der Brust gerissen. Entweder in dieser oder in der umgekehrten Reihenfolge. Ich will nie wieder von dir hören.
Damit legt der Produzent auf.
»Was hat er gesagt?«, fragt Milla.
»Er hat gesagt, es ist ganz okay, und alles ist in Ordnung, und wir hören voneinander.«
Milla runzelt die Stirn. »Das hat er bestimmt nicht gesagt!«
»Nee, aber so könnte er es gemeint haben.«
»Du bist an die hundert. Solltest du nicht allmählich erwachsen werden?«, schnaubt Milla.
»Ich bin die Göttin des Spiels und des Vergnügens.«
»Deshalb brauchst du aber nicht die Göttin des Infantilismus und der Selbstsucht zu sein.«
»Niemand ist vollkommen.« Aphrodite ist den Tränen nahe, obwohl sie zu lächeln versucht. Darauf kann sie nichts erwidern, sie ist schlecht, ganz eindeutig.
Milla fischt den letzten Chipskrümel aus der Tüte. Es tut ihr ein bisschen leid, dass sie so grausam war.
»Du hast es sicher gut gemeint«, sagt sie schließlich.
»Glaubst du?«
»Ja. Du meinst
Weitere Kostenlose Bücher