Die Hure: Roman (German Edition)
sollte eine Frau schöner machen«, sagt Aphrodite, während sie die Schuhe auszieht.
»Ja. Aber ich hab nicht richtig gegessen. Und nicht richtig geschlafen. An die frische Luft müsste ich wohl auch, aber ich traue mich nicht einmal auf den Balkon.«
»Wirst du diskriminiert?«
»Nee, ich habe bloß eine Scheißangst.«
»Ach?«
»Bist du nicht gekommen, um mir zu helfen?«
»Tja. Ich weiß nicht.«
»Scheiße, ich hab niemanden«, weint Milla.
»Wo ist denn deine Freundin? Habt ihr euch gestritten?«
»Fic k dich , du egoistisch e Kuh! Schaust du denn nie um dich, verdammt?«
Na ja, Aphrodite sieht sich nicht um, das stimmt schon. Trotzdem waren das hässliche Worte. Aber Milla scheint außer sich zu sein. Aphrodite umarmt sie und bittet sie, ihr zu erzählen, was passiert ist. Milla entschuldigt sich: »Du bist keine Kuh.«
Sie erklärt, dass Kalla jetzt vielleicht eine Märtyrerin ist. Dass sie verschwunden und bestimmt tot ist, ermordet. Und die Bilder! Und die Heftklemmen! Und die Müllpresse.
»Ach Schätzchen. Es ist doch nichts Neues, dass eine junge Frau zu Tode gefoltert wird.«
»Aber das kann mir auch passieren.«
»Wieso sollte es?«
»Es könnte einfach passieren.«
Für Gewalt gibt es selten rationale Erklärungen.
»Ich beschütze dich«, erklärt Aphrodite.
»Wirklich?«
»Ja. Ich bin die Göttin der Fruchtbarkeit. Es ist meine Pflicht, dich zu beschützen.«
Milla beruhigt sich. Aphrodite holt eine knisternde Chipspackung aus ihrer gelben Einkaufstüte. Sie fragt, ob sie es sich auf dem Sofa bequem machen und Chips futtern können wie in alten Zeiten.
»Ich muss dir etwas erzählen.«
»Hat es irgendwie mit mir zu tun?«
»Nein. Hör einfach zu. Okay?«
Wahre Freunde sind Menschen, denen man das Allerschrecklichste erzählen kann. Milla verspricht zuzuhören und tut es auch, allerdings nehmen die herrlichen, fettigen, salzigen Chips mindestens die Hälfte ihrer Aufmerksamkeit gefangen.
Aphrodites Erzählung von Liebe und Verlust
Aphrodite musste in den Tod zurückkehren, um ihr Vergehen an einer Frau wiedergutzumachen. »Eine gewisse Sarah. Obwohl ich immer noch nicht ganz sicher bin, ob sie so heißt.«
Sie suchte im Tal des Todes nach der Frau. Beinahe wäre sie achtlos an ihr vorbeigelaufen. »Sie war kaum wiederzuerkennen. Weil sie keine Haut mehr hatte.« Doch Sarah erkannte sie.
Sarah legte den Stift beiseite und sah Aphrodite an. Ihre Augen waren unverkennbar, obwohl die Lider fehlten. Aphrodite ging zu ihr und küsste sie auf den Mund.
Die Liebe besiegte den Tod, und sie kehrten ins Leben zurück.
»Einfach so?«, fragt Milla.
»Ja.«
Es ging tatsächlich überraschend leicht.
Sarah schlief, bis sie wieder so stark und nett wurde wie damals, als Aphrodite sie kennengelernt hatte. Es war nicht schwer zu verstehen, warum Aphrodite sich, hmm, in sie verguckt hatte.
Sie lebten ziemlich glücklich und verließen das Haus nur selten. Es gab auch gar keinen Grund auszugehen. Aphrodite besaß kein Telefon, und nachdem der Akku vom Handy des Produzenten leer war …
»Wessen Handy?«, unterbricht Milla.
»Egal.«
Hinter dem Haus schuf Aphrodite einen Garten. Exotische Früchte. Nussbäume, Ölbäume, einen Olivenbaum. Cherubim, die aus den Trauben Wein stampften.
Der Garten war eine der schönsten Kreationen Aphrodites. Bald fanden sich Vögelchen und Waldtiere ein. Hier herrschte ewiger Friede. Der Luchs durfte die Kohlmeise nicht verschlingen und der Fuchs das kleine Kaninchen nicht behelligen. Die Raubtiere gewöhnten sich an Mangos, Datteln und Oliven. Sie freuten sich ganz besonders, wenn man die Oliven kullern ließ und sie ihnen nachjagen durften. Die Tiere waren so niedlich. Vor allem der Luchs, der Sarah oft auf den Schoß sprang und schnurrte und sie mit seinen großen Pfoten trat.
Dann waren plötzlich in der Nähe Schüsse zu hören, und eines Tages kam einer der Füchse nicht mehr in den Garten. Sie wussten beide, dass irgendwer ihn erschossen hatte. Dennoch versicherten sie sich, er werde bald wieder auftauchen. Doch dann verschwand auch der zweite Fuchs. Ihm folgten der Dachs, der Vielfraß und ein Wurf Marderhunde.
Sarah hoffte, der Luchs würde nicht in den Wald laufen. Aber er tat es doch, denn der Wald war sein Zuhause. Und er kehrte nicht zurück. Bis auf die Vögel waren alle Tiere verschwunden. »Sie sind ermordet worden«, sagte Sarah, und es tröstete sie überhaupt nicht, dass die Früchte groß und reif waren. »Alle werden
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