Die Hure: Roman (German Edition)
es nicht böse. Du hast nie schlechte Absichten.«
Aphrodite zieht den Rotz hoch, Tränen rinnen über ihre Wangen.
»Du kannst die Patentante meines Babys werden.«
»Wir müssen herausfinden, wer der Verrückte ist, der diese Bilder malt«, sagt Milla zu Aphrodite.
»Wie denn?«
»Irgendwie.«
Zum Glück hat Aphrodite sowohl Einfluss als auch die Fähigkeit, listige Intrigen zu spinnen.
Sie ruft die für Finnland zuständige Marketingchefin der großen Modekette an. »Ich möchte, dass die Heilige Miracle ein Abendkleid bekommt«, erklärt sie.
»Warum?«, fragt die Marketingchefin.
»Weil bald Silvester ist und entsprechend gefeiert wird.«
»Ich weiß nicht …«
» TU ES «, befiehlt Aphrodite. Die Marketingchefin ist ganz still und ein wenig entsetzt. »Tu es, und ich trage dasselbe Kleid bei der Werbeveranstaltung.« Aphrodite zeigt sich kompromissbereit.
Die Marketingchefin gehorcht ihr, denn Aphrodite ist immerhin eine Mode-Ikone. Und in der Branche hat man bereits gelernt, dass es nicht ratsam ist, ihr zu widersprechen.
Blitzlichter zucken, als der Heiligen Miracle ein feuerrotes langes Satinkleid angelegt wird. Das gleiche Modell, in das sich auch Aphrodite gehüllt hat.
»Glaubst du, es funktioniert?«, fragt Aphrodite Milla, während sie in die Kameras lächelt.
»Vielleicht.«
»Na, wenigstens krieg ich das Kleid umsonst!« Aphrodite streicht mit der Hand über ihren Körper, dem der Satin definitiv schmeichelt.
Die Fotografen und Fernsehleute verziehen sich, nachdem sie genug fantastische Aufnahmen von Aphrodite gemacht haben. Allmählich verschwindet auch das Publikum.
»Wir müssen unauffällig sein«, mahnt Milla vor dem Kaufhaus. Sie reicht Aphrodite einen langen schwarzen Mantel. »Wir wollen doch nicht, dass er uns sieht.«
»Wer?«, fragt Aphrodite.
»Der Mörder natürlich.«
»In dieser Kutte möchte ich von keinem gesehen werden.«
Es wird Nacht. Gegen einen Stromkasten gelehnt, hockt Milla in ihrem Schlafsack und umklammert das Pfefferspray. Sie warten. Das heißt, Aphrodite ist offenbar eingeschlafen. Seit die Bars geschlossen haben, sind keine Taxis mehr unterwegs. Die Obdachlosen haben in Tunnels und Parkhäusern Unterschlupf gesucht. Niemand rührt sich in der kalten, dunklen Stadt.
Außer.
Milla rüttelt Aphrodite wach. »Guck mal«, flüstert sie.
An der Ecke des Einkaufszentrums hat sich wie aus dem Nichts eine Schar kleiner, schwarzhaariger Mädchen versammelt. Allerdings keine gewöhnlichen Mädchen: Sie haben Flügel. Nicht etwa Engelsflügel. Eher solche, wie sie Fliegen haben. Sie sind so leicht, dass die Flügel sie tragen. Die Mädchen haben Farbdosen in der Hand. Sie fliegen senkrecht auf und machen sich fauchend und kreischend daran, die Heilige Miracle zu restaurieren. In ihrer Wut fliegen sie gegen die Wand und schlagen sich blutig. Sie beschmieren die Wunden der Heiligen Miracle mit ihrem Blut, aber so, dass das Resultat sehr malerisch wirkt.
»Erinnyen«, wispert Aphrodite.
»Fürchtest du dich vor ihnen?«
»Sie sind furchterregend.«
»Warum hätten sie Kalla verletzen sollen?«
»Das haben sie sicher nicht getan.«
»Wir müssen mit ihnen reden.«
Aphrodite versucht, Milla zurückzuhalten, doch Milla hat das Einkaufszentrum bereits erreicht. Es hilft nichts, Aphrodite muss ihr folgen. Der Mantel wickelt sich um ihre Beine und fällt zu Boden, und im Abendkleid kommt sie auch nicht schnell vorwärts. Aphrodite begreift nicht, warum es lange Mäntel und lange Röcke geben muss.
»He! Hallo, Mädchen, he!«, ruft Milla.
Die geflügelten Mädchen werden auf sie aufmerksam. Im Bruchteil einer Sekunde schießen sie aus mehreren zehn Metern Höhe herab wie große schwarze Projektile. Sie zischen und krächzen, röcheln und knattern. Milla versucht, mit ihnen zu kommunizieren, doch sie spucken nur eine schwarze Schmiere aus, die an Altöl erinnert.
»Rede du mit ihnen, ihr seid doch aus derselben Gegend«, bittet Milla Aphrodite.
Aphrodite spricht die Mädchen auf Altgriechisch an, doch sie versprühen weiterhin Öl und geben knackende Geräusche von sich. »Die verstehen nichts.«
Vom Hügel her nähert sich ein Wagen der Securitas. Die Fliegenflüglerinnen erschrecken. Sie sammeln sich zum Schwarm und steigen auf. Milla schafft es gerade noch, eine von ihnen am Bein zu packen, und wird mit hochgezogen. Es ist zum Kotzen, einfach entsetzlich! Die Leute von der Wachgesellschaft sehen nur Aphrodite, die allein vor dem Kaufhaus steht und in
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