Die Hure und der Henker
richtig begriffen.
Damals
wussten wir noch nicht, dass die sich häufenden Besuche bei Verwandten und
Geschäftsfreunden nur Vorwände waren. Dass der Vater bereits Geld
transferierte. Dass er Fluchtwege auszukundschaften begann. Bei unserer Ankunft,
als die Tante uns mit viel Getöse am Hoftor empfing – »Nein, ist das eine
Überraschung! Ich fasse es nicht! Katka, Jitka, Hynek, seht doch mal, wer
gekommen ist! Nein, wo kommt ihr denn her? Wann seid ihr denn aufgebrochen?« –,
bei der Ankunft war ich noch stolz auf meinen Bruder gewesen: Er hatte sich
gegen die Umarmung der Tante mit finsterem Gesicht und hängenden Armen
verwahrt. Auch, als wir den Tisch, der abends auf der Tenne improvisiert worden
war, aus der Nähe sahen, waren wir beide uns einig. Von Weitem sah er reichlich
gedeckt aus. In der Nähe erwiesen sich die vermuteten Speisen als Bretter, auf
denen überflüssige Geräte wie Dochtscheren und Feuerzeuge lagen, als leere
Teller, die für Schalen, und leere Teller, die für Knochen bestimmt waren, als
viele Gegenstände und wenig zu essen.
Die beiden
Hühner, die wir mitgebracht hatten, waren zwar gekocht worden, ich wusste es,
ich hatte sie vor dem Herd der Tante ja ausgenommen, aber wir entdeckten sie
nicht. Dafür entdeckten wir Sülze und Kümmelbrot. Das Brot war in Scheiben
geschnitten und die Scheiben waren geviertelt, sodass man viermal zugreifen
musste, um eine zu haben. »Greift zu! Eva! Jeroným! Jura, Sorka, greift zu!«
Als die Tante
von den Hinrichtungen sprach, entdeckte ich den Hühnertopf am Ende der Tafel.
Dort saß aber niemand. Später würde die Tante ihn bedauernd abtragen. »Ach,
davon hat niemand gegessen…«, jetzt stand sie auf, um uns zu zeigen, wie Leute
gevierteilt wurden.
»So«, sagte
sie und stand gegrätscht vor den Wagenrädern und Dreschflegeln an der
Scheunenwand. »Und die Arme so.« Sie breitete ihre Arme aus, schräg nach oben.
»Und den Ratsschreiber haben sie so angenagelt.« Sie bückte sich,
streckte die Zunge heraus, hielt den Kopf schief und legte überhaupt, wie ich
fand, für durchnagelte Zungen, abgeschlagene Körperteile und rollende Köpfe
eine gewisse Begeisterung an den Tag.
Also, was du
gestern mit Valentin erlebt hast, falls du es erlebt hast, das mit dem Feuer
ging so schnell und ich weiß ja nicht, ob ihr euch noch gesprochen habt oder
nicht, aber wenn – das habe ich schon mit zwölf Jahren erlebt.
Wie Leute
versuchen, ihr Gesicht zu wahren und gleichzeitig ihre Interessen.
Ich erinnere mich noch genau
an unsere letzte legale Versammlung. Danach war die Brüdergemeinde verboten.
Ich erinnere
mich, wie ich zwischen Mutter und Jura saß, links von der Mutter saß unser
Vater. Der Saal im Brüderhaus in Stramberg war bis auf den letzten Platz voll.
Die Unruhe in ihm nahm immer mehr zu. Und ich erinnere mich, wie nicht mehr die
Gräfin Bathory, von der es hieß, dass sie auf ihrer Burg in Čachtice in
Mädchenblut bade, und nicht mehr dieser verrückte Kaisersohn, dieser Don Julius
de Austria im böhmischen Krumlov, der seiner Geliebten die Ohren abschnitt und
die Augen ausstach, sondern unser armer Lehrer Poliačik plötzlich als ein
Abbild beispielloser Verrohung dastand!
Weil er einen
Schüler geohrfeigt hatte!
»Er hätte ja
auch die Schläfe treffen können!«, rief jemand. »Oder die Halsschlagader!«
»Mein Sohn
hätte ja auch dumm werden können von dem Schlag!«
Ich, die ich
wusste, dass der Vater von Radek auf Schläfen und Halsschlagadern keine
Rücksicht nahm, wenn er seinen Radek versohlte, ich, die ich außerdem wusste,
dass Kubik auch vorher schon dumm war, kam aus dem Staunen damals nicht mehr
heraus.
Der Lärm im
Saal steigerte sich.
»Ruhe! Ruhe
bitte, liebe Schwestern und Brüder!« Onkel Miroslav am Tisch der Ältesten
vergrößerte den Lärm mit seiner Handglocke noch. Ich bat die Mutter, etwas
sagen zu dürfen, schließlich sei ich Zeugin. Kubik gehe in meine Klasse und ich
sei ja dabei gewesen, als er unseren Lehrer zur Weißglut trieb.
»Ruhe bitte,
es kann immer nur einer reden! Ruhe bitte!«
»Nein,
Sorka!« Die Mutter hielt mich energisch zurück. »Es hat keinen Sinn. Ich erklär
es dir später.«
Unser Lehrer Poliačik
vorne war fassungslos. Er stand vor dem Tisch der Gemeindeältesten und immer,
wenn er etwas zu sagen versuchte, wurde er durch Zwischenrufe unterbrochen.
Auch die Ältesten wurden immerfort unterbrochen. Wo kamen all diese frechen
Leute denn plötzlich bloß her!
Poliačik,
der arme
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