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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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zwischen zwei Männern, hatte man
ihr auch einmal ihren Berend gebracht. Noch während sie ihnen das Lattentor
aufriss, ihnen Barthels Werkzeug, Rechen und Sense, abnahm, während sie Gertrud
half, ihn auszuziehen und ins Bett zu bringen, hoffte sie, Gertrud möge erspart
bleiben, was sie damals durchgemacht hatte. Aber als Barthel den Becher mit Tee
nicht mehr selbst halten konnte, als seine Hände kribbelten, sein Kopf
schmerzte, ihm übel wurde, ihr Salbeitee mit Kümmel nur seinen Brechreiz
verstärkte und auch ihr Fieberkleeaufguss gegen seinen Kopfschmerz nicht half,
tat sie, was Gertrud wollte, und holte den Bader. Dann, als der kam und nach
kurzem Blick auf die blauroten Hände des Kranken Gertruds Mehlvorrat zu sehen
verlangte, klaubte sie den erschrockenen Jungen aus der Ecke am Herd, nahm ihn
auf den Arm, redete ihm zu, dass der Bader jetzt helfen wolle und Platz
brauche, und nahm ihn mit sich, damit er bei den Krämpfen, die, wie der Bader
gesagt hatte, bald einsetzen würden, das Jaulen und Heulen seines Vaters nicht
hörte.
    Übrigens war
es nicht das Mehl, das Gertrud vorzeigte. An jenem Tage, stellte sich später
heraus, hatte man das Mittagbrot für die Knechte vergessen. Barthel hatte
hungrig Ähren gerauft – ohne hinzusehen, was er zerkaute. Auch ein anderer
hatte damals Mutterkörner gegessen, kam aber, anders als Barthel, mit dem Leben
davon.
    Gertrud war nach dem Tod
Barthels verschuldet. Bader, Totengräber, Glockenläuten, Grabgesang – alles,
alles kostete Geld. Als sie vom Getreideschippen auf dem Kornboden hörte, für
das Frauen bei gleicher Leistung nur die Hälfte des Lohnes der Männer
erhielten, aber auch das war mehr, als sie für Waschen und Putzen bekam, lief
sie zum Kornmeister, um sich zu bewerben. Der musterte sie, prüfte Größe, Arme
und Hände und stellte sie ein. Ihre Schulden waren bezahlt, als der Kornboden
einbrach. Unter dem zu hoch belasteten Boden knickte ein Stützbalken gerade
dort, wo sie schippte.
    Vyfken, die
an dem Apriltag, an dem der Ratskornboden einstürzte, in Giesensdorf bei ihren
Verwandten war, hörte erst am nächsten Tag bei ihrer Rückkehr am Stadttor vom
Unglück. Der Sohn der Toten?
    Ahnungslose Torwächter,
neugieriges Volk zu Fuß und auf Rädern. Sie hat einen Sohn? Und keine
Verwandten in Pritzwalk? Na, dann werde er wohl im Armenhaus sein. Oder bei den
frommen Beginen vielleicht?
    Noch nie war
Vyfken so schnell durch die Straßen gerannt. Sie merkte nicht, dass ihre
Pantinen auf Steinen kippten und auf Kohlstrünken glitten. Sie merkte nicht,
dass ihre Haube verrutscht war und die Kiepe, dieselbe, die nun Valentin trug,
randvoll jetzt mit Kleidung und Büchern gefüllt, in der damals aber nur ein
halber geräucherter Schinken kollerte, den ihre Schwägerin ihr mitgegeben
hatte, ihr beim Rennen die Schulter wundscheuerte. Im Armenhaus, wo es dunkel
war und sie sich an einem Balken stieß, wusste man aber von nichts. Die Beginen
am Wittstocker Tor vermuteten den Jungen im Haus der Predigerwitwen. Eine der
beiden Predigerwitwen, die in der Mitte der Stadt in dem stattlichen Haus nicht
weit vom Rathaus wohnten, sah über Vyfkens Schultern auf den Trümmerhaufen, aus
dem man Ziegel und Balken und, soweit das möglich war, auch das Getreide zu
bergen im Begriff war, und hätte ihr gern die verrenkte Tote und das Toben des
Jungen noch näher beschrieben. Wie er biss, mit Füßen trat, kratzte und
spuckte. Sie sage es ja, nicht jeder könne Kinder erziehen, aber Vyfken hatte
»Pfarrhaus« gehört, rief nach rückwärts noch »Danke« und rannte schon an der
Kirche vorbei.
    Von dem, was
der Pfarrherr ihr damals erzählte – von Ablenkungsmanövern, bestehend aus
Butterbroten, Warmbier, gutem Zureden, der Androhung von Prügel und der
Bilderbibel, mit der man am erfolgreichsten war, von den biblischen Namen, die
der Junge behielt, richtig aussprach und auch am Morgen noch wusste, von seinen
Gebeten, die er vor dem Einschlafen sprach und die auf ein gutes Gedächtnis
hinwiesen, übrigens auch auf fromme Eltern, denn »Lieber Gott, mach
geschwind/dass ich werd ein frommes Kind« und »Die Kühlein itzund nicht mehr
muhn/die Schweinlein nicht mehr quieken tun/so lass auch mich zu schlafen
eilen/ lieber Gott, wach du derweilen« kenne auch er, der Pfarrherr, aber »Ruhe
und Stille/ist Gottes Wille/das in mir, Herr, auch erfülle« habe er zum ersten
Male gehört und auch, was danach noch kam, denn es sei noch ein Weilchen so
weitergegangen, ratternd,

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