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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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war, damit sie, die sich über seine Schulter neigte, von seinem
verschwiegenen Aufstand nichts merkte. Er saß da, so starr wie möglich, während
ihn der Duft von Lavendel umgab, ein Busen seine Schulter berührte, eine Hand
vor seinen Augen dazwischenfuhr und in dem Buch eine Seite zurückblätterte.
»Nein, bitte, wann war das?«
    »1326«, las
er und: »3 000 Bewaffnete auf 27 Koggen und 25 kleineren Schiffen.«
    »Und dann hat er die eroberte
Insel zurückgegeben?«
    »Bornholm,
ja. So steht es hier.«
    »Für einen
Tanz mit der dänischen Königin…« – Ihre Stimme klang bewegt.
    Er bewegte
sich nicht. Er saß steif, hielt die Luft an, denn der Busen auf seiner Schulter
drückte noch mehr, vielmehr drückte gar nicht, machte gar nichts, machte etwas
ganz anderes: Er war da! Er war so sehr da, dass jegliche Steifheit an Valentin
zunahm.
    »Für einen Tanz mit der
dänischen Königin, ja. Und dafür ist Wittenborg ja dann auch im Jahr darauf in
Lübeck enthauptet worden.«
    Ihre Wange. Ihr Atem. Ihr…
    »Schreit Euer
Sohn?«
    Sie lauschte. Hörte nichts.
Ging dann doch lieber nachsehen.
    Er atmete auf, als er die Tür
schlagen hörte. Er zog sich in den Nebenraum, der Heinischens Studierstube
gewesen war, zurück. So würde er noch Zeit haben, falls jemand kam. Natürlich,
es war Sünde. Aber wenigstens war er kein Mann, der um eines Weibes willen den
Kopf verlor.

 
    7
     
     
     
    Zwischen der Straße der
Sicherheit, die zur Gewissenlosigkeit führt, und jener des Zweifels, die in
Verzweiflung mündet, einen dritten Weg zu finden ist nicht jedem gegeben.
Valentin hat ihn gesucht.
    So, wie ich
ihn gesucht habe, damals, in Mähren, als das vorher Richtige plötzlich falsch
war, das bisher Geltende nicht mehr gültig, und ich, wenn ich am Tisch saß und
auf das Zeichen der Mutter zum Essen wartete, zwar noch wusste, dass ich auf
der Seite der Wahrheit sein sollte, aber nicht mehr genau, wo die Wahrheit denn
war.
    Nur, dass die Gebete des
Vaters einmal kürzer gewesen waren, wusste ich. »… und sei, Herr, auch mit
unseren Feinden; schenk Weisheit denen, die uns zu regieren haben; verleihe
ihnen den Mut zur Barmherzigkeit; bewahre unsere verfolgten Priester; stärke
die Bleibenden; sei mit allen, die jetzt unverdient an den Bettelstab kommen…«
    Der Vater betete. Das Feuer
loderte. Die Stube wurde warm. Der Brei wurde kalt.
    »… und
schütze alle, die außer Landes gehen müssen.«
    Dass wir die
Wahrheit suchen sollten, wusste ich noch. Jan Rokycany, dessen Bild ich in dem
Buch gesehen hatte, aus dem der Vater uns vorlas, und nach dessen Predigten
sich vor fast zweihundert Jahren die ersten Brüder zusammenfanden, hatte es
genauso verlangt wie Jan Hus, von dem uns in der Schule Lehrer Poliačik
erzählte. Wir hatten jene Worte an die Tafel kritzeln, in unsere Hefte
schreiben, ins Griechische und Lateinische übertragen müssen.
    »Kennt jemand die Quelle? –
Sorka?«
    »Es steht in
der ›Auslegung des Glaubens, der zehn göttlichen Gebote und des Gebetes des
Herrn‹.«
    Dass wir die Wahrheit suchen
und dass wir sie hören sollten, wusste ich noch, aber da, mit dem Hören, fing
es schon an. Wir waren vor dem Essen zum Gottesdienst gewesen. Längst war die
Brüdergemeinde wieder verboten. Längst fanden ihre Gottesdienste wieder, wie
vor zweihundert Jahren, in Waldverstecken, Schluchten und Höhlen statt. Wir
kamen und gingen getrennt, stellten Wachen auf, vereinbarten Zeichen, legten
für alle Fälle verschiedene Fluchtwege fest, und dass unser Priester nur noch
leise zitierte, dass »wahrhafte Christen die Wahrheit suchen, die Wahrheit
hören, die Wahrheit lernen…«, ging ja noch an, aber flüsternd zu singen!, einen
Choral, vor dem einmal Europa gezittert hatte!, mit dem die Hussiten in ihre
siegreichen Schlachten gezogen waren! »Die ihr seid die Streiter Gottes.« Und
dabei diese Streiter Gottes zu sehen, die mit Pilzkörben in der Hand zum
Gottesdienst schlichen! Während aus der Kirche, an der wir auf dem Rückweg
vorbeikamen und die nun den Katholiken gehörte, ein kraftvoller, mehrstimmiger
Gesang kam. Jura wusste auch seinen Freund Hynek unter den Sängern, der jetzt
keinen Vetter mehr in Prag hatte und eigentlich überhaupt keine Verwandten in
Böhmen.
    Unser
Priester hatte gut reden! »… die Wahrheit suchen, die Wahrheit hören, die
Wahrheit lernen, die Wahrheit lieben, die Wahrheit sagen…« Schon sie mir selbst
zu sagen wurde für mich zum Problem!
    Unseren
Nachbarn Vašek, der

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