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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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sie sich nachher, als wir in der Vermögenssache selbst nach Dresden
gefahren waren, weil unsere Briefe nicht beantwortet wurden, wenigstens in
Worten Luft machen musste, sie wäre sonst erstickt oder verrückt geworden, so,
wie bei unserer Mutter sich in diesen eisenharten Zeiten alles verschärfte, die
Sparsamkeit zum Geiz wurde, die Vorsicht zum Argwohn, das Nachdenken zum Wieder-
und Wieder- und Wiederholen – nur holte sie nicht die Gelegenheit, sondern
immer nur die verpasste Gelegenheit, nicht das Glück, sondern nur das Unglück
wieder mit ihren Worten zurück, holte es auch in den Momenten, da die Sonne
schien und die Elbe glänzte und das Unglück gerade abwesend war –, so, musst du
dir vorstellen, hat Valentin sein Unglück immer vor mir wiederholt. So hat er
geredet, tagelang. Von Vyfken. Von Leipzig. Von seinen Brüdern, den
Rosenkreuzern. Von dir. Dem Bündnis, das ihr damals eingingt. Dem Hochgefühl,
dem der Absturz folgte. Es ging ja nicht. Du hattest ja Kober. Er glaubte, es
trotzdem lebbar machen zu können.

 
    12
     
     
     
    Ihr saht
nichts und hörtet nichts, damals, nachdem wieder Weihnachten war. Nachdem
wieder hier und da Haustiere mit in der Christnacht gestohlenem Kohl gefüttert
worden waren, wovon sie gesund und stark würden, sagte am Morgen des ersten
Weihnachtstages Trine Strehlen in der Gasse Achter der Mauer zu Vyfken. Nachdem
wieder zu Mittag des ersten Weihnachtstages der Besuch deiner Schwiegereltern,
der alten Kobers, mit Ausrufen wie »O das riecht ja gut bei euch!« und »Wo ist
denn mein kleiner Liebling« und Auskünften wie »Baltzer schläft noch« anstand.
Und ihr am Nachmittag des zweiten wieder in das volle Haus der Chemnitze gingt.
    Ihr saht nichts und hörtet
nichts, nachdem wieder die Pferde zur Ader gelassen worden waren, wobei Robert
wieder in Tränen ausgebrochen war, die Fäuste geballt, den Rücken an die
Hauswand gestemmt, verzweifelt »Böse Leute, böse Leute, böse Leute« stammelnd,
bis auf ihren Pantinen, sich die Hände an der Schürze abtrocknend, Jenne
erschienen war, den runden, nur spärlich blond behaarten Kopf ihres Sohnes an
ihren Busen gedrückt und ihn zu beruhigen versucht hatte.
    »Jedes Jahr dasselbe!«,
seufzte Kober und zählte dem Bader seinen Lohn in die Hand. »Er sieht die Tiere
bluten und denkt, wir tun ihnen wer weiß was.«
    Ihr tatet
euch wer weiß was.
    Wenig, wenn
ein Blick wenig ist, rasch, bei Tisch, über Schüsseln und Teller hinweg, als
Kober sagte, es sehe nicht gut aus mit neuen Räumen für die Bibliothek. Ein
Blickwechsel, rasch. Während dein Mann sich den Bierschaum von dem
Oberlippenbärtchen wischte, das er neuerdings trug, und die Entscheidung des
Rates verstand, die er durch Vater und Onkel kannte: Es wurde mit der
Konkurrenz des englischen Tuchhandels und vor allem mit der
Geldverschlechterung immer schlimmer. Der Rat hatte jetzt anderes zu tun, als
sich um Räume für gespendete Bücher zu kümmern.
    Kober hielt Ulla den Bierkrug
hin. Die Magd schenkte ein. Kober merkte nicht, dass ihr euch freutet.
    Dabei sah er
von dem, was ihn letzte Nacht vermutlich das Leben gekostet und dich so
verbrannt hat, damals schon mehr. Ihr saht nur euch. Ihr saht noch Robert, wie
er mit zwei Pferden aus der Stallgasse kam, wie er sie an die Deichsel des
Pferdeschlittens führte, sie zurücktreten ließ, wie Anton ihm beim Anspannen
half. Ihr lächeltet über Elsbeth, die, in einen Halbpelz gehüllt, auf der
gefrorenen Pfütze neben dem Nussbaum kichernd an Valentins Arm zu schlittern
versuchte. Ihr saht die geglättete Einfahrt, Schneehauben auf den Radabweisern,
hörtet Diso euch nachkläffen, während die Leute Kober grüßten, auch euch, aber
vor allem wohl Kober, vor dem auch die Torwächter bald salutieren würden, du
wusstest es schon. Das Klatschen von Leder. Das Klingeln des Geschirrs. Anton
gab den Pferden die Peitsche.
    »Pritzwalk ist schön«,
sagtest du, als die Schlittenfahrt in der Wintersonne zwischen blauem Himmel
und weißen Feldern dem Ende zuging. Da, rechts, war schon wieder Sankt Spiritus
vorm Wittstocker Tor, da die Stadtmauer, die Dächer und die anderen Türme.
»Ja«, sagte Valentin.
    Und wieder:
ein Blick.
    Am
Neujahrstag gingt ihr gemeinsam zur Kirche. Du wusstest schon: Bald würde Kober
im Ratsgestühl sitzen. Langsam, seiner Bedeutung angemessen, schrittest du
durch den Mittelgang an seiner Seite nach vorn. Valentin, wie immer, setzte
sich an den zweiten der aus Backsteinen gemauerten Rundpfeiler

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